Aus Erfahrung gut

Ein Interview mit der Berliner Tanzkompanie Rubato

Berlin, 12/07/2007

Rubato sind die „Dinosaurier” der freien Berliner Tanzszene. Mit „Born2bewild” haben Jutta Hell und Dieter Baumann, beide um die 50 und immerhin schon seit 1985 gemeinsam im Geschäft, soeben eine wunderbar zarte und verschrobene Hymne an die Rastlosigkeit des alternden Künstlers auf die Bühne gebracht. Zwei Wochen vor der Premiere sprachen sie mit tanznetz.de über Hardrock, Orientierungslosigkeit und den Umgang mit der jungen Zuschauergeneration.

Nach großen Gruppenstücken wie „Shanghai Beauty”, mit dem Ihr jetzt zwei Jahre lang auf Tournee wart, und einer längeren Zusammenarbeit mit der chinesischen Choreographin Jin Xin, habt Ihr seit langer Zeit mal wieder eine intime Duo-Arbeit gemacht. Was war die Motivation dafür?

Jutta Hell: Wenn du über mehrere Jahre für andere choreographierst, dann fragst du dich selber irgendwann: Wo ist eigentlich dein Material? Wo stehst du eigentlich selbst?

Dieter Baumann: Damit fing das Stück letztendlich an: Eine gewisse Etappe ist zuende – diese sehr lange und sehr intensive Auseinandersetzung mit China. Jetzt sind wir erstmal an einen Punkt gekommen, wo wir sagen: Wir haben da so viel durchlebt und erlebt, wir müssen jetzt einen neuen Anfang setzen, der viel mehr auf unsere Kultur zurückgeht. Man merkt nämlich auch, dass die Gefahr sehr groß ist, sich von einer fremden Kultur einlullen zu lassen, dort zu versacken.

Gab es eine Grundidee für „Born2bewild”?

Jutta Hell: Unsere einzige Ausgangsidee war unsere Orientierungslosigkeit...

Dieter Baumann: Naja, es gab schon so eine Ahnung, wo es hingehen soll. Es ging um die Idee des „Aufräumens”, darum, bestimmte Dinge zu klären. Aber im Prozess des Im-Studio-Seins. Dass wir wirklich ins Studio gehen und arbeiten und kucken, was interessiert uns im Moment körperlich und was haben wir da zu sagen? Gibt es irgendwie einen neuen Ansatz aus den ganzen Erfahrungen, die wir in den letzten Jahren gemacht haben?

Dieser „neue Ansatz” kommt erstaunlicherweise aus der Ikonographie des Hardrock. Ihr tragt teilweise Langhaar-Perücken, werft Euch in Rocker-Posen, und Dieter spielt zum ersten Mal auf der Bühne harte Gitarrenriffs. Ist die Verwendung dieser leicht angejahrten Kunstform auch eine Reflexion über das Älterwerden?

Dieter Baumann: Das ist eine Ebene von Musik, die einfach ein Stück Zeitgeschichte ist. Unsere Generation ist damit groß geworden. Die Idee mit der Gitarre entstand aus einer Lust heraus, aber sie hat sich immer mehr zu einem Utensil der Zeitreise entwickelt. Genauso mit den Perücken. Es gab eigentlich zwei Impulse: Der eine war zu sagen, wir können bestimmte Sachen machen, mit unseren Körpern, mit unseren Gesichtern, aber andere Sachen können wir nicht mehr machen. Und da sind die Perücken plötzlich ein Hilfsmittel. Wir verkleiden uns, und in der Maskerade hat der Körper – philosophisch gesprochen – wieder eine Utopie. Er kehrt in einen anderen Körper ein, wird „jünger”, denn klar, so sahen wir irgendwann mal aus.... Und dann nimmst du die ab und bist plötzlich wieder Hell und Baumann, die da so verschwitzt dastehen (lacht).

Jutta Hell: Durch diesen Kontrast erschreckt das noch viel mehr, als wenn wir einfach eine Stunde tanzen würden. Der Effekt, diese „Maske” vom Kopf zu reißen, lässt uns irgendwie noch älter erscheinen.

Ist der Titel mit seinem Verweis auf die 60er-/70er-Jahre ironisch gemeint?

Dieter Baumann: Natürlich ist da auch Ironie – aber damals dachte man noch, man hat wirklich klare Ziele und Orientierungen. „Born to be wild” heißt ja eigentlich, immer weiterzugehen. Es wäre der Tod, zu sagen, jetzt habe ich schon alles getan. Das Wilde, das ist eigentlich, dass man nicht loslässt. Du brauchst einfach die ständige Verunsicherung, das Scheitern und die Orientierungslosigkeit. So bleibst du am Leben.

Ist das Stück also auch ein Weitergehen zu einer neuen Arbeitsweise?

Jutta Hell: Das wird sich zeigen. Wir haben ja schon relativ viel Erfahrung im Körper. Und unser Anliegen – auch wenn wir das nicht immer schaffen – ist immer, etwas Neues, etwas Anderes zu entdecken. In den Proben kamen wir auch häufiger in Situationen, wo wir gesagt haben, ne, haben wir schon mal gemacht, können wir nicht weitermachen. Das Ziel ist es, am Ende eine Körperlichkeit hinzukriegen, die anders ist.

Dieter Baumann: Es geht um den Prozess des Sich-Lösens von bestimmtem Material und des Sich-Aufmachens zu anderem Material. Wenn so ein Ausblick gelingen würde, wäre das schon ein Erfolg.

Jutta Hell: Diese Art von Körpermaterial haben wir bis dato nicht so benutzt. Bisher haben wir viel abgezirkeltere Bewegungen gemacht. Hier erlauben wir uns auch mal, ausgefranst zu sein oder rauh zu sein. Insofern ist es ein neues Terrain, das ich sehr spannend finde.

Und obwohl es einige Elemente benutzt, die man auch aus der Performance-Ecke kennt, ist es viel strenger und gebündelter...

Jutta Hell: Ja, denn das interessiert uns auch nicht. Wir sind schon so kulminierte Arbeiter. Gebündelte Energie ist uns wichtig. Vielleicht ist das ja manchmal zu viel, ich weiß nicht...

Dieter Baumann: Wir neigen schon stark dazu, irgendwann zu gestalten, auch das Chaos zu organisieren. Das ist alles geschrieben, total abgezirkelt.

Jutta Hell: Es soll zwar nicht so aussehen, aber... (lacht)

Es ist sehr interessant, das im Kontext der Stadt Berlin zu sehen, wo die Tanzszene so unglaublich jung und hip ist. Und dieses junge Publikum wird auch zu Euch kommen und das Stück ganz anders lesen. Für die ist zum Beispiel Hardrock ohne Selbstironie gar nicht möglich – da man das sonst gar nicht „machen darf”. Habt Ihr das mitbedacht?

Dieter Baumann: Jugendlichkeit ist eine Kraft, die absolut notwendig ist, damit überhaupt Leben weitergeht. Aber gleichzeitig ist auch Erfahrung eine ganz notwendige Komponente. Das Ziel ist jetzt nicht, heraushängen zu lassen, wie viel Erfahrung man hat, sondern zu zeigen, was die Erfahrung eigentlich mit uns gemacht hat. Die Leute müssen das spüren, um zu verstehen, dass Erfahrung eine Qualität sein kann. Was wir bieten können, ist, das mit einer Klarheit, Überzeugtheit und Durchdrungenheit zu machen, die zeigen, dass nicht nur das, was wir machen, sondern auch wie wir es machen, eine Stärke hat, die auch Leute aus einem anderen Generationskontext überzeugt. Damit die sehen: Da steckt eine Substanz dahinter, auch wenn es vielleicht nicht ganz in ihren Interpretationsfilter reinpasst.
Es geht also auch darum, die Jugend von etwas zu überzeugen. Ein positives Bild von Alter, von Erfahrung zu schaffen.

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