Hat er die Stadt nun wirklich bewegt?

Versuch einer Bilanz des „Cranko Moves Stuttgart“-Festivals

oe
Stuttgart, 06/12/2007

Wenn sie geahnt hätte, was für einen Wunder-Embryo sie in ihrem Schoß barg, sie hätte wohl alles darangesetzt, den eigentlichen Geburtsprozess entweder zu beschleunigen oder aber ein bisschen hinauszuzögern. So aber brachte sie am 15. August 1927 im fernen südafrikanischen Rustenburg John Cranko zur Welt – ohne Rücksicht darauf, dass sein achtzigster Geburtstag mitten in die schwäbischen Theaterferien fallen würde. Und so pilgerten denn an diesem Mittwoch, dem 15. August 2007, nur ein paar eingefleischte Fans zu seinem Grab auf dem Soldatenfriedhof, draußen, vor den Toren der Stadt, um es mit Blumen zu schmücken.

Dabei hätte es der clevere, eigens für das „Cranko Moves Festival“ engagierte Marketing-Manager wohl am liebsten gesehen, wenn sie zu Tausenden auf die Stuttgarter Solitude geströmt wären und sich dort zum „Dance the Cranko“-Reigen zusammengefunden hätten. Doch so weit sind sie auch in Stuttgart noch nicht, dass sie ihren Cranko derart verinnerlicht und den Termin ihrer Sommerferien entsprechend geändert hätten. Aber was nicht ist, kann ja noch werden – vielleicht dann zu seinem Hundertsten anno 2027! Indessen konnten die Stuttgarter mit ihren Plänen zum „Cranko Jahr 2007“ durchaus punkten. In keiner anderen Stadt wurde der Achtzigste eines seiner Jahrgangskollegen derart umfangreich und ausgiebig gefeiert wie in Stuttgart – immerhin fungieren ja auch Maurice Béjart, Juri Gigorowitsch, Pavel Smok und Erich Walter unter den Oktogenerians (Tom Schilling hat es nicht ganz geschafft: er wurde am 23.1.1928 geboren, laut Gorbatschow ein Spätbestrafter).

Unterdessen hatte sich Stuttgart vorgenommen, die ganze Stadt zum Tanzen zu bringen und sich dafür eigens von einem Autorenteam eine Art Klingelton des Stuttgarter Balletts arrangieren lassen, mit einem vielstrophigen Text von Eric Gauthier „Dance the Cranko, Dance the Cranko. It‘s so much fun, I can‘t stop“, rhythmisiert von Michael Gaeth und choreografiert von keinem Geringeren als Reid Anderson als Resteverwertung à la Cranko. Damit sollten die Massen mobilisiert werden bei allen möglichen Veranstaltungen, mit dem Höhepunkt auf der neuen Messepiazza, wo nach unterschiedlichen Schätzungen fünf- bis siebentausend Besucher den „Dance the Cranko“ hoppelten und sich damit für den Eintrag als „größte Ballettkompanie der Welt“ im Guinnessbuch der Rekorde qualifizierten (die offizielle Bestätigung steht derweil noch aus).

Das eigentliche Festival dauerte vom 25. Oktober bis zum 2. Dezember – und da sie es nicht erwarten konnten, vordatierten sie den Anfang bereits auf den 6. September – mit einer der unter dem Titel „Kooperationen“ (zu Deutsch: „Outsourcing“) zusammengefassten Veranstaltungen: Christian Spucks „Don Q“ im Theaterhaus – derart erfolgreich, dass sie gar nicht genug Vorstellungen davon geben können. Wie denn vielleicht diese „Kooperationen“ überhaupt die interessantesten Termine dieser Wochen waren: Bridget Breiners „Zeitsprünge“ im Kunstmuseum, ein faszinierend arrangiertes tänzerisches Environment, und die geradezu beklemmenden „Cranko Re-Flexions“ von Antje Töpfer und Florian Feisel als Pas de deux für einen Tänzer, Tomas Danhel, samt Gliederpuppe im Fitz! Zentrum für Figurentheater. Interessant wäre sicher auch Marco Goeckes „Herzrasen“ in der Staatsgalerie geworden – wenn es denn zustande gekommen wäre, das aber erst einmal auf einen unbestimmten Termin verschoben werden musste (macht er zuviel?).

Im Übrigen gab es erfreulich wenig Abweichungen vom angekündigten Programm (lohnenswert nachzulesen im attraktiv aufgemachten Begleitbuch mit zahlreichen Beiträgen zu den einzelnen Veranstaltungen). Und das Publikum zog mit, so dass die Organisatoren auf eine Gesamtbesucherzahl von hoch in den neunziger Prozent kommen. Und die Stimmung war durchaus „high“ an den einzelnen Abenden, bei den drei klassischen Abendfüllern wie bei den Wiederaufnahmen der beiden „Cranko Moves“-Programme – und auch offenbar bei dem vielstündigen Gala-Marathon (trotz ein paar leerer Plätze – verursacht durch die hohen Eintrittspreise?). Verschätzt hatte man sich wohl lediglich beim Publikumsinteresse für das Podiumsgespräch, das in einem viel zu großen Raum stattfand und deshalb, dem Vernehmen nach (ich war nicht dabei), erhebliche Lücken aufwies. Vielleicht ja auch deswegen, weil die Leute am Ende einfach müde waren – besonders nach dem erst kurz vor Mitternacht zu Ende gegangenen Gala-Programm. Vermisst habe ich bei diesen Vorstellungen die beiden Publikumsfavoriten (auch die meinen) Maria Eichwald und Friedemann Vogel. Missgestimmt in dem allgemeinen Jubel habe ich eigentlich nur den hohen Besuch aus Berlin/Frankfurt gesehen – der aber ohnehin nicht viel mit Stuttgart im Sinne hat, siehe die ostentative Ignorierung der beiden Stuttgarter Uraufführungen von Bigonzettis „I fratellIi“ und Goeckes „Nussknacker“. Aber das wird sich wohl nicht ändern, solange die Stuttgarter Direktion sich weigert, eine Kita für die Betreuung des Nachwuchses einzurichten, während die Eltern die Vorstellung besuchen.

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