Düstere Repressionsetüde

Rubatos „Inside Burning“ lodert in der HALLE

Berlin, 01/02/2006

Leer bis auf die kahlen, beigefarben getünchten Ziegel ist die Szene der Spielstätte Die HALLE. Nur je zwei Stühle drücken sich an die Seitwände, hinten hängt als Blickfang raumhoch ein voluminöses tiefrotes Samttuch. Immer wieder im Verlauf der 75 Uraufführungsminuten von „Inside Burning“ entquellen ihm die fünf Akteure wie einem Geburtszentrum, sammeln sich dort wie auf einer Krafttankstelle. Zu Rauschen, das sich später zu jähen, bedrohlichen Klangeinbrüchen mit überlagerten Akkorden auswächst (Musik Lutz Glandien), gliedert das Quintett lange in kalkulierter Komposition stehend die Fläche. Nur die Hände der erhobenen Arme senden in Geheimsprache Schüttelsignale aus: nach oben oder unten, zum Partner, zu den anderen, in den Raum hinein. Allmählich erfasst die pulsende Bewegung den ganzen Körper, lässt ihn abkippen.

Dann bricht das Choreografen-Duo Jutta Hell und Dieter Baumann der Gruppe Rubato das Raummuster auf, lässt die Tänzer rechtwinklig hinter den Vorhang abgehen. Momente der individuellen Formsuche, des gegenseitigen Stützens, Be- und Verdrängens fächern die folgenden Szenen auf. Zu asiatischen Gongs verliert sich ein Paar offenen Munds in fast berührungsfreien Orgasmen, bis ein Tänzer die Hingabe trennt. Dem Druck ratternden Geräuschs versuchen die Darsteller standzuhalten, sinken, beulen, schleudern indes ständig aus der Achse, schleppen einander vom Platz, als rissen sie den anderen aus seinem Umfeld heraus und trügen ihn in eine dem jeweiligen Träger genehme Situation hinein. Es sind Normen, die jeder seinen Mitspielern aufpressen will, die jeden und alle gemeinsam in Aktion halten, ohne am Ende das menschliche Klima verbessert zu haben.

Dieses Spiel um Dominanz und Beherrschen bestimmt die Regeln in Rubatos neuer Produktion. Individuen werden zu willenlosen Marionetten, um sogleich in die Täterrolle zu schlüpfen. Als jemand die Mitspieler nach dem Dominoprinzip ablegen will, entlädt sich die aufgestaute Spannung in rempelndem Anspringen und bringt sie durch den Aufprallimpuls zu Fall – einer der energetischsten Augenblicke des Abends. Wenn der raumbreit ausfaltbare Samt die Menschen verschlingt, bauschen deren unsichtbar tobende Aufwallungen den Stoff. Auch Ingo Reuleckes knochenlos spillriges, spinnengleich weitflächig die Szene füllendes Solo schluckt der Vorhang. Zum Schluss der von den Autoren als Experiment und Prozess verstandenen Repressionsetüde drängen sich die Menschen unter der treibenden Kraft eines klirrenden Crescendo zu einem Körperknoten zusammen, ehe sie ratlos ihre Einzelexistenz annehmen. Anregend zu sehen ist das allemal, wenngleich die Bezüge zwischen den Teilen des Stücks klarer herauszuarbeiten wären. Dass die Choreografen keinen Weg aus der Misere übersteigerten Erwartungsdrucks aufzeigen können, ist ihnen freilich nicht anzulasten.

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