Mit geschärftem Blick

Ein paar ausländische Stimmen über das Ballett in Deutschland

oe
Stuttgart, 09/06/2006

An die zwanzigtausend ausländische Journalisten haben sich zur Berichterstattung über die Fußball-Weltmeisterschaft angesagt. Ach kämen doch nur zwanzig zu unseren diversen Tanzfestspielen! Doch für die scheinen sich nicht einmal die ortsansässigen Lokalreporter zu interessieren (wie kürzlich bei der 1. Karlsruher Ballettwoche zu beobachten). Umso erfreulicher festzustellen, dass wenigstens in ein paar ausländischen Fachzeitschriften ab und zu über einzelne Ballettereignisse hierzulande berichtet wird. Wahrscheinlich sogar häufiger als mir bewusst ist, da ich regelmäßig nur die englische Dancing Times und dance now lese und aus Amerika Dance Magazine, Ballet Review und Dance Chronicle. Und da sind mir in den letzten Monaten ein paar Artikel aufgefallen, von denen ich mir vorstellen kann, dass sie auch hierzulande auf breiteres Interesse stoßen würden.

So zum Beispiel in Dance Chronicle, volume 29, Number 1, 2006, Ann Nugents immerhin 32 Seiten langer Essay über „William Forsythe and the Lost Stuttgart Ballets“, beruhend auf Kritiken sowie auf vielen persönlichen Kommentaren, angefangen bei Forsythe selbst bis zu Reid Anderson und Interviews mit Tänzern, die an diesen frühen Arbeiten „Urlicht“, „Daphne“ und „Flore subsimplici“ beteiligt waren. Sehr zu empfehlen denjenigen, die sich noch an die zweite Hälfte der siebziger Jahre erinnern. Inzwischen sind ja bereits diverse Bücher über Forsythe erschienen, aber kein einziges, das mir bekannt ist, wartet mit einer solchen Fülle von Details über Forsythes Stuttgarter Jahre auf. Interessant scheint mir auch Andersons Antwort auf die Frage, welches der Forsythe-Ballette er gern neueinstudiert sähe: „Orpheus“ und „Traum des Galilei“, von denen er letzteres „too early for its time“ hält (27 Jahre vor Daniela Kurz‘ „Galileo Galilei“).

In der Spring 2006 Issue der amerikanischen Ballet Review kommt Deutschland gleich dreimal zum Zuge: Darrell Wilkins ziemlich ironisch über Malakhovs Berliner „Dornröschen“ („Try to imagine a garden party with polka-band held by Viennise aristokrats in their summer castle of Gay Pride Day 1895“), Henning Rübsam eher durchwachsen über die 31. Hamburger Ballett-Tage („Fille mal gardée“, Junge Choreografen mit Marco Goeckes „Beautiful Freak“: „It seemed like a modern-day commentary on José Limon‘ s ‚The Unsung‘“ – zuviel Dramaturgie, und Barbara Newman über Peter Quanz‘ „Charlies Krezfahrt“ in Chemnitz („Polished, entertaining, and occasionally engaging ... All indications are that he‘s on his way, but it‘s not yet possible to predict how far he's going“).

Als „London Reporter“ berichtet Clement Crisp in seinen Tagebuch-Aufzeichnungen über eine Neueinstudierung von Crankos „Lady and the Fool“ beim Birmingham Royal Ballet: „Cranko‘s characters are lost; the choreography stifled; a once amusing and heart-touching ballet is smothered in the most vulgar flummery. Poor Cranko. Poor dancers. Poor us.“ In der May 2006 Issue der englischen Dancing Times erschien ein sehr positiver Bericht über „The School of the Hamburg Ballet“ von Lydia Polzer („John Neumeier‘s charisma carries through every level of the company and school ... His presence is evident in everything that happens“). Recht gut kommt auch das Stuttgarter Ballett weg in Gerald Dowlers Report über die Gala „Glen Tetley at 80“ – auch wenn er sich für Tetleys „Voluntaries“ nicht recht erwärmen kann (ich auch nicht), dafür umso mehr für Tetleys „Sacre du printemps“ und besonders für Alexander Zaitsev („breathtaking – he is a fine, expressive young artist, with huge powers of stamina, proven all the more given that when he started the piece to that famous oboe solo, he had just finished dancing the title role inn ‚Pierrot lunaire‘“). Auch das Staatsorchester kriegt sein Teil vom Kuchen ab: „Would that the Covent Garden brass played for the ballet half as well as their Stuttgart counterparts“.

 

Kommentare

Noch keine Beiträge