Ein Blick auf die Sterne von morgen

Der Ballettabend „Junge Tänzer“ im Pariser Palais Garnier

Paris, 25/05/2006

Zusammen mit dem jährlichen Wettbewerb des Corps de Ballet (Concours) ist der regelmäßig wiederkehrende Ballettabend „Junge Tänzer“ die beste Gelegenheit, noch relativ unbekannte Talente der Pariser Kompanie in großen Rollen zu erleben. Es handelt sich hierbei um eine Art Gala, in der man sowohl neue Begabungen als auch einige selten gezeigte Choreographien entdecken kann. Dieses Mal bestand das Programm aus einer Mischung aus (neo-) klassischen Bravourstücken (Petipa, Nurejew, Balanchine) und einigen Choreografien derzeitiger (José Martinez, Jean-Guillaume Bart, Mallory Gaudion) und ehemaliger (Patrice Bart) Tänzer der Kompanie. Da es sich bei letzteren ebenfalls teilweise um klassisch angehauchte Pas de Deux handelte, mangelte es dem Programm zwar etwas an stilistischer Vielfalt, doch eigneten sich die Stücke gut dazu, die tänzerischen Qualitäten der sehr engagierten Interpreten zu präsentieren.

Nach einigen Ausschnitten aus „Paquita“, in denen nur Sabrina Mallem im Grand Pas in Erinnerung bleibt, gelingt es Mathias Heymann als blauem Vogel aus dem dritten Akt von Nurejews „Dornröschen“, das Publikum im Sturm zu erobern. Dieser bis jetzt nur wenigen bekannte Tänzer, der bereits im letzten Concours durch eine exzellente Variation aus „Marco Spada“ einiges Aufsehen erregte, vereinigt brillante Technik und Sprünge von außergewöhnlicher Leichtigkeit mit sichtlicher Freude am Tanz. An seiner Seite macht die noch sehr junge, aber viel versprechende Aubane Philibert ebenfalls eine gute Figur. Der erste Teil des Abends schließt mit einem Pas de Trois aus Patrice Barts „Coppelia“, einer Art Mischung aus dem Sumpf-Pas de Deux in Mac Millans „Manon“ und Barts eigener „Kleinen Tänzerin von Degas“. Dieser für „Coppelia“ recht untypische Ausschnitt mutet aus dem Kontext herausgerissen etwas seltsam an, wenn auch das Hauptpaar – Christelle Granier und Jean-Philippe Dury als Swanilda und Franz – tänzerisch und schauspielerisch überzeugt.

Im zweiten Teil präsentieren drei derzeitige Tänzer der Kompanie eigene Choreografien. Mallory Gaudion eröffnet die Runde mit „Abel était“, einem Stück über den biblischen Brudermord zu live auf der Bühne gespielter Musik von Arvo Pärt. Cyril Chokroun und Gregory Dominiak verkörpern die biblischen Brüder mit geradezu rührender Hingabe, und Gaudions Choreographie lässt trotz eines gewissen Mangels an eigenem Stil auf weitere Stücke hoffen.

Jean-Guillaume Barts Ballett „Bergamasques“ knüpft willentlich an Balanchine an und ermöglicht es dem Zuschauer, zwei der allerjüngsten Hoffnungen der Kompanie zu erleben, Eléonore Guérineau und Marc Moreau. José Martinez‘ Pas de Deux „Délibes Suite“ zu Ausschnitten aus „La Source“ hingegen wird von einem schon etablierten Paar interpretiert: Mathilde Froustey und Josua Hoffalt, die zusammen in Varna respektive Gold und Silber gewannen und als Inhaber zahlreicher Preise (Prix Carpeaux, Prix AROP) zu den bekanntesten Nachwuchstänzern der Kompanie zählen. Sie enttäuschten nicht in diesem humorvollen Pas de Deux, in dem Musik, Choreografie und die reizvollen Kostüme der Primaballerina Agnès Letestu sich zu einem prickelnden Ganzen fügen.

Im Anschluss an den Pas de Deux des dritten Aktes aus „Schwanensee“, in dem vor allem Sébastien Bertaud in der in Nurejews Choreographie besonders hervorgehobenen Rolle des Rothbart schauspielerisches Talent und Bühnenpräsenz beweist, schließt der Abend mit einem weiteren Höhepunkt: dem Adagio aus George Balanchines „Diamants“, dem letzten Teil seiner Juwelen-Trilogie. Die erst zweiundzwanzigjährige Laura Hecquet, die im Concours regelmäßig durch die Perfektion ihrer Variationen beeindruckt, gehört zwar ebenfalls bereits zu den bekannteren Talenten der Kompanie, doch erstaunte sie an diesem Abend ganz besonders. Sie glänzte nicht nur durch ihre lupenreine Technik und die Präzision ihrer Gestik, sondern vor allem durch ihre vollkommene Grazie, Hingabe und Fragilität. Audric Bezard erweist sich an ihrer Seite als sehr aufmerksamer Partner, und so beendet dieser Pas de Deux den Abend in perfekter Harmonie.

Angesichts des Erfolges dieser Vorstellungen, in denen fast immer kleine Wunder geschehen, kann man nur hoffen, dass der Abend „Junge Tänzer“ von nun an jedes Jahr fester Bestandteil des Spielplans sein wird.

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