Hexe, Bürgerschreck, Theaterpionierin

Zu Susanne Foellmers Band über Valeska Gert

Berlin, 19/10/2006

Sie hat im Berlin zwischen den Weltkriegen Furore und Skandal gemacht: Valeska Gert. Bücher dieser Zeit bestätigen ihre Wirkung. So attestiert ihr Frank Thiess bereits 1920 in „Der Tanz als Kunstwerk“, „als erste die Karikatur in den Tanz als berechtigte Kunstform eingeführt zu haben“. Werner Suhr nennt sie in „Der künstlerische Tanz“ „die Erste, welche über eine reiche, bezaubernde Macht wahrer und sinnvoller Grotesken verfügt“, stellt sie „unbedenklich in die erste Reihe unserer besten Könnerinnen“, bescheinigt ihr „Instinkt und bei tiefster Fraulichkeit Intellekt“ und dass sie in ihren Miniaturen entdecke, „was noch alles hinter den tanzenden Dingen und ‘Dingern’’liegt“.

Rudolf Lämmel schreibt 1928 in „Der moderne Tanz“, die Gert sei „im Hauptfach Pantomimikerin, und zwar pflegt sie die Parodie, und sie ist darin von einer erfreulichen Pietätlosigkeit“. Und Fred Hildenbrandt schließlich, langjähriger Feuilletonchef beim Berliner Tageblatt und Autor einer Gert-Biografie, spürt in dem schmalen Bildband „Tänzerinnen der Gegenwart“ 1931 bei seiner bewunderten Interpretin „eine unheimliche, riesengroße, gewaltige Dämonie“ und wagt als Resümee: „Wigman, Impekoven, Gert, diese drei an der Spitze.“

Was von der 1892 in Berlin geborenen, 1978 auf Sylt verstorbenen Tänzerin, Schauspielerin, Kabarettistin bis heute fortwirkt, aus welchen Anregungen sich ihr Werk speist, wen sie inspiriert hat und wie sich ihr Schaffen in die kulturelle Avantgarde ihrer Hochzeit einordnet, untersucht Susanne Foellmer in „Valeska Gert. Fragmente einer Avantgardistin in Tanz und Schauspiel der 1920er Jahre“, einem Band der Reihe TanzScripte. Der Nachdruck einer Diplomarbeit, erweitert durch gekennzeichnete Einschübe neuer Ansichten und Überlegungen, erklärt die trocken wissenschaftliche Diktion. Wenige Filmaufnahmen, viele Fotos und noch mehr schriftliche Zeugnisse über Gert und von ihr selbst bilden hauptsächlich die Basis der Recherche und aller sich daraus ableitenden Schlussfolgerungen. Die bienenfleißige Arbeit gibt mannigfache Kunde, wie sich Gerts Intentionen in ihre Zeit betten und aus ihr speisen: den Futurismus in der bildenden Kunst, den Expressionismus in Theater und Film, die Bestrebungen Brechts, Eisensteins, Meyerholds, Stanislawskis, Artauds, mit denen die Tänzerin teils auch persönliche Kontakte verbanden. Die „Hexe des unbewaffneten Aufstands“ wollte mit ihren Soloabenden aufrütteln, gesellschaftliche Widersprüche enthüllen. Mit theaterwissenschaftlichem Instrumentarium untersucht Foellmer Gerts künstlerische Ansätze, ihre darstellerischen Mittel und ihre theoretischen Schriften, wagt ästhetische Wertungen, fördert erstaunliche Parallelen zur Denkweise anderer Innovatoren zutage. Stilvergleiche etwa zwischen Wigman und Gert entdecken Trennendes wie Gemeinsames.

Den sechs Kapiteln, deren letztes sich Gerts Nachfolgerinnen in Sachen künstlerischer Provokation aus den 1990ern widmet, hängen zwei Kabaretttexte, Theaterproduktionen und Ausstellungen zu Gert im Überblick sowie ein ergiebiges Literatur- und Quellenverzeichnis an. Eine beigegebene CD-ROM mit verfügbaren Filmaufzeichnungen macht Gerts Werk bildhaft. Hauptverdienst des Bandes bleibt es, auf die Ernsthaftigkeit gestalterischen Wollens einer bislang zu wenig beachteten Theaterpionierin aufmerksam zu machen.

 

Susanne Foellmer: Valeska Gert . Fragmente einer Avantgardistin in Tanz und Schauspiel der 1920er Jahre. transcript Verlag Bielefeld 2006, Broschur, 302 S., 49 Abb., CD-ROM, 28,80 Euro, ISBN 3-89942-362-3

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