Dreihundertfünfzehn Minuten Tanz-Marathon

Die Nijinsky-Gala XXXII des Hamburger Balletts

oe
Hamburg, 09/07/2006

Na, da bin ich aber erleichtert, denn das heutige „Hamburger Abendblatt“ bestätigt mir in der Vorkritik der gestrigen Nijinsky-Gala: süchtig bin ich nicht! Denn, so befindet die ehrenwerte Kollegin aus dem hohen Norden: „Fünf Stunden? Kein Problem für Gala- und Ballettsüchtige“. Denn 315 Minuten Ballett-Völlerei: das war denn doch zu viel für meinen Geschmack! In der Kürze liegt die Würze, hatte Balanchine schon als Vierundzwanzigjähriger bei der Arbeit an „Apollon musagète“ gelernt – eine Lektion, von der John Neumeier auch als bereits 32. Ausrichter der jährlichen Nijinsky-Gala noch immer nichts wissen will. Immerhin scheint in Hamburg die Ballettwelt noch in schöner alter Ordnung. Und so gab es denn in der zweiten Pause der um 18 Uhr beginnenden (und um 23.15 endenden) Vorstellung nicht den mindesten Hinweis auf den Zwischenstand des gleichzeitigen Fußball-Weltmeisterschaftsfinales. Fußball? Nie gehört! So offenbar für 1226 Gala- und Ballettsüchtige (- 1, denn zu den Fußballsüchtigen rechne ich mich ja auch nicht gerade, hätte aber eben doch gern den Halbzeit-Stand gewusst).

Fußball ist Fußball und Ballett ist Ballett ist Ballett sagten sich offenbar 1225 Balletomanen. „Aspekte des sinfonischen Balletts“ nannte Neumeier den diesjährigen Nijinsky-Dreiteiler – wie stets überaus charmant vom Maestro selbst moderiert (aber immer noch nicht gewillt, dem Pas de deux sein männliches Geschlecht zu restituieren). Zusammengestellt aus überaus bekömmlicher Hamburger Hausmannskost als Gourmet-Menü, mit ein paar appetitstimulierenden Zwischengerichten, in drei Gängen: „Mozart und mehr“, „Zukunft – Ankunft, Abschied“ und „Von Walzer und Polka bis Molto allegro“ – wobei wir am Ende wieder bei Mozart angelangt waren.

Als Gäste-Entremets fungierten Lise-Maree Cullum und Lukas Slavicky aus München mit Balanchines „Sylvia-Pas de deux“, sowie, ebenfalls vom dortigen Staats- (nicht: National)ballett Lucia Lacarra und Cyril Pierre mit dem traumhaft getanzten „Thaïs-Pas de deux“ (Sinfonisches Ballett?). Im zweiten Teil, beginnend mit dem Nachwuchs aus der Schule, Carolina Aguero und Dario Franconi (offenbar Brasilianer) mit dem „Don Quixote“-Pas de deux, und danach Kusha Alexi und Amilcar Moret Gonzalez aus Zürich mit Forsythes „In the Middle, Somewhat Elevated“ (sehr gewagt nach „Don Q.“ – aber bis dahin das meistapplaudierte Stück). Sodann Sylvie Guillem und Nicholas Le Riche mit einem ziemlich fade getanzten „Kameliendamen“-Ausschnitt von Neumeier und Guillem dann nochmals mit „Two“, das ja eigentlich ein Solo „for One“ ist, von Russell Maliphant, exzentrisch bis zum Geht-nicht-mehr und damit genau das, was wir an Guillem so schätzen (in der „Kameliendame“ hatte ich mich gefragt, ob sie‘s denn wirklich sei).

Die Hamburger Solisten, so gut wie alle in Topform (vermisst habe ich den krankheitsentschuldigten Arsen Megrabian) servierten die diversen Neumeier-Appetitshappen, von denen ich die Mozart- nein, nicht: Kugeln, sondern Balli ausgesprochen gern wiedergesehen habe. Im zweiten Teil geriet der „Nijinsky“ als Hauptgericht denn doch gar zu fett, war wohl hauptsächlich auf die Speisekarte gesetzt worden, um Jiří Bubeníček und Yukichi Hattori angemessen zu verabschieden. Die beiden Hamburger Top-Stars (akkompagniert von ihren Kollegen) tanzten sich denn auch noch einmal ihre Seelen aus ihren wohl trainierten Leibern und demonstrierten auf diese Weise noch einmal, was Hamburg mit diesen beiden Ausnahmepersönlichkeiten (Bubeníček wechselt bekanntlich nach Dresden, Hattori nach Alberta/Kanada) verliert. Die Hamburger haben Sie gebührend verabschiedet. Ole von Beust sollte ihnen den noch zu stiftenden Hamburger Terpsichore-Orden verleihen!

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