Die Choreografie als Trockenreinigungs-Apparat für die Musik

Die Mark Morris Dance Group mit „Mozart Dances“ im MuseumsQuartier

oe
Wien, 07/12/2006

Mark Morris ist der Balanchine des 21. Jahrhunderts: so sind sie jedenfalls in Amerika überzeugt. Und darum haben sie ihn zum Abschluss des Mozart-Jubiläumsjahres nach Wien geschickt, die Mozart-Stadt, damit er den Europäern einmal zeigt, wie Mozart getanzt im 21. Jahrhundert auszusehen hat. Mit seiner Mark Morris Dance Group aus zweimal acht Tänzerinnen und Tänzern hat er seine in New York enthusiastisch aufgenommenen „Mozart Dances“ im MuseumsQuartier, Wiens Heimwerkstätte der Avantgarde, gezeigt – freundlich vom Publikum akklamiert (da sind wir freilich in Stuttgart ganz andere Begeisterungsexplosionen gewöhnt).

Morris, inzwischen fünfzig, ist während seiner frühen Jahre in Brüssel als Nachfolger von Béjart (mit einem ganz jungen Joachim Schlömer in seiner Equipe) auf viel Skepsis gestoßen. Er hat sich dann in Amerika und auch in England als Paladin des Theater-Wundermannes Peter Sellars einen Namen gemacht. Er ist ein moderner Choreograf auf klassischer Basis (wie der etwas jüngere Brite Christopher Wheeldon), erzmusikalisch, der es gerne mit großer Musik hält: Bach, Händel, Purcell, Rameau ... Jetzt also Mozart: drei Ballette zu ausgewählten, klavierdominierten Kompositionen – als Rahmen zwei Klavierkonzerte: Nr. 11 (KV 413) für „Eleven“ und Nr.27 (KV 595) für „Twenty-seven“ – dazwischen „Double“ zur Sonate für zwei Klaviere (KV 448), mit Emanuel Ax – einem ausgewiesenen Konzertpianisten – und seiner Frau Yoko Nazaki, begleitet von der Orchestra Camerata Salzburg unter der Leitung von Louis Langrée – so wurde der musikalische Anspruch des Programms voll eingelöst.

Getanzt wird auf nackter Sohle, in Kniehosen, Slips und BHs, in flüchtigsten Kostümen, garniert fallweise mit ein paar Tüllfähnchen, die immerhin eine Ahnung von Mozart à la mode suggerieren, vor Hintergrundprospekten, die mit breiten Pinselstrichen bemalt sind, in stimmungssuggestiver Beleuchtung (Howard Hodgkin, Martin Pakledinaz und James F. Ingalls). Es gibt nichts, was von der Musik und dem Tanz ablenkt, keine Story – lediglich, dass man aus Gesten und Blicken kleine Gefühlsaufwallungen herauslesen, oder besser: hineininterpretieren kann, aber das ist in das Ermessen jedes einzelnen Besuchers gestellt. Auch liefert Morris kein choreografisches Röntgenbild der musikalischen Abläufe und Strukturen (darin unterscheidet er sich wesentlich von Balanchine). Gleichwohl wird man seinen klassisch timbrierten, leicht modernistisch verfremdeten choreografischen Arrangements eine ungemein differenzierte musikalische Sensibilität bescheinigen müssen.

Er arbeitet mit vielen Schwüngen, rund um den Körper geführt, oft endend in hinter dem Kopf verschränkten Händen, die wie ein Rahmen wirken. Phrasierungen werden floskelhaft-ornamental von den Händen nachgezeichnet. Es gibt immer wieder überraschendes Innehalten, einen Bewegungsstopp wie eine Synkope, während die Musik weiterfließt. Es kommt auch zu Stürzen, die dann am Boden weitergeführt werden. Sprungsequenzen sind relativ selten – und das sind auch die Duo-Paarungen. Das Ganze ist unaufhörlich im Fluss. Die Choreografie ist immer in den Strom der Musik eingebettet, wirkt stets ungemein organisch, wird nie illustrativ.

Alles strahlt eine blitzblank geputzte Klarheit und Reinheit aus und wird von den Tänzern frisch, fröhlich und frei getanzt – mit prä-Bush‘schem, ungebrochenem amerikanischen Optimismus und Fortschrittsglauben sozusagen, ohne durch irgendwelche virtuosen Tricks zu verblüffen. Und bleibt dabei vollkommen unverbindlich. Die Choreografie fungiert hier gewissermaßen als Reinigungsprozess der Musik, deren emotionale Inhalte wie weggeputzt erscheinen. Und das soll der getanzte (nicht vertanzte!) Mozart des 21. Jahrhundert sein? Da sind mir die „un-reinen“ Mozarts von John Neumeier, Uwe Scholz, Heinz Spoerli und Angelin Preljocaj doch wesentlich lieber (um Mozart hat William Forsythe bisher ja gottlob noch einen Bogen gemacht).

 

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