„Mario und der Zauberer“

Ballett von Stela Korljan - frei nach Motiven der Novelle von Thomas Mann

Schleswig, 01/10/2005

Wo gibt es das schon: Der Generalintendant persönlich beteiligt sich als Sprecher(-Zauberer) an einer Ballettproduktion, rezitiert nicht nur Texte aus Thomas Manns Novelle „Mario und der Zauberer“, sondern lässt sich von der Choreographin Stela Korljan auch ins Tanzgeschehen einbinden. So läuft er als Fremdkörper durchs ganze Stück, quasi in gliedernder Funktion. Michael Grosse, kräftig gebauter Chef des Schleswig-Holsteinischen Landestheaters, absolviert seinen Sprechpart mit klarer Artikulation und Gliederung der Bandwurmsätze Manns. Leidenschaft, Erregung, heftige Gefühle sind ihm fremd, er verharrt in kühler Diktion.

Begleitet werden die Szenen von Filmprojektionen auf links, rechts und oben platzierten Leinwänden. Die Musikauswahl aus der Tonkonserve umfasst nicht näher benannte Werke von Beethoven, Schostakowitsch, Eleni Karaindrou und selbstverständlich des unvermeidlichen Arvo Pärt.

Der Abend folgt im Groben dem Handlungsverlauf der Vorlage von Thomas Mann, 1930 verfasst im Angesicht des Faschismus und der Frage nach der Freiheit des Willens. Stela Korljan schildert in fast gemütlichen Genrebildern Ankunft und Aufenthalt sowie Vertreibung der Schriftstellerfamilie im Hotel eines Ferienortes, wechselt im zweiten Teil die Stimmung, als der (Tanz-)Zauberer Cipolla auftritt, nach und nach die Zuschauer in seinen Bann zieht, bis er von einem seiner manipulierten Opfer, dem Kellner Mario (Arsen Chraghyan) unversehens erschossen wird.

In diesem Abschnitt gelingen Korljan suggestive Momente. Cipolla erscheint auf einem Metallsteg, der über Kopfhöhe im Halbrund des Hintergrundes verläuft (Ausstattung: Hansjürgen Baumhöfner). Zum ersten Satz der Sturmsonate von Beethoven - wer die Aufnahme eingespielt hat, wird nicht verraten - zelebriert er seinen Einstand. Das erledigt Azat Gharibyan mit kraftvollem Zugriff. Korljan hat ihm Motive zugeordnet: die zweite Position als bestätigendes Moment: So ist es - eine Folge aus rasend schnellen Drehungen à la Seconde mit Übergang in Pirouetten, abgeschlossen mit einer angehockten doppelten Lufttour - und nicht zu vergessen: der dämonische Blick. Das wirkt, wenn etwa die „moralische Frau“ (Cristina Boanda) von ihm per Hypnose zu Krämpfen gezwungen wird. Boanda schafft es, Sinnlichkeit mit dramatischer Zuspitzung zu verbinden, ohne je grob dem Affen Zucker zu geben. Die sehr präsente Venita Gliesche als „Signora Angiolieri“ unterliegt Cipolla ebenfalls eindrucksvoll, stimmt brüchig die Tosca-Arie „Vissi d‘arte“ an - aber dann walzt Korljan die Szene mehr und mehr aus bis zum sich wiederholenden Leerlauf.

Aus diesem Abflauen der Spannung findet Korljan beim Pas de trois mit Mario, seiner aus der Ferne angebeteten Silvestra (Anika Hendrikx, hohe Beine, unplatzierte Arabesque, unsensibel geführte Arme, ausdrucksloses Gesicht) und Cipolla nicht mehr heraus. Auch das allmähliche Einbeziehen des gesamten Ensembles, quasi in Massenhypnose, wirkt harmlos, nicht erschreckend. Als Mario sich den Arm des Sprechers schnappt, aus dessen Finger eine Pistole formt und auf Cipolla abdrückt, geschieht es wie aus heiterem Himmel.

Dennoch liegt Stela Korljan die dramatische Linie mehr als die quasi unterhaltsame des ersten Teils, in dem sie im klassischen Bewegungsjargon verharrt, einschließlich der Spitzenschuhe. Herausragend Marios furioses Solo, in dem er im Raum hin und her gerissen wird, um seiner Silvestra zu imponieren. Arsen Chraghyan absolviert die Tour de force mit Bravour. Oberflächlich (gewollt?) das Schäkern von Stubenmädchen und Kellnern, der Auftritt der Gesellschaft auf zu engem Raum (konzipiert für die größere Bühne in Flensburg) und der operettige Kellnertanz. Mit bewundernswertem Einsatz agiert das sehr heterogene Ensemble.


Premiere: 10.9.05
Gesehene Vorstellung: 28.9. in Schleswig

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