Zum 25. Todestag von Heinz Ludwig Schneiders

oe
Stuttgart, 22/03/2004

Wie denn das? Ein Vierteljahrhundert soll schon vergangen sein, seit Heinz Ludwig Schneiders in Stuttgart starb, kurz vor seinem 45. Geburtstag? Das war also 1979, knapp sechs Jahre nach Crankos Tod, bald nach dem Ende der „Ära Tetley“. Indessen dürfte es eine ganze Reihe von Leuten in Stuttgart geben, die sich noch an ihn erinnern. Vor allem natürlich seine Freunde aus dem Umkreis der John-Cranko-Gesellschaft, für deren Gründung er sich 1975 so tatkräftig eingesetzt hatte. Wie er denn überhaupt einer der streitbarsten Partisanen Crankos war, auf den er nichts kommen ließ.

Ich hatte ihn bald nach meiner Übersiedelung aus Berlin Anfang der sechziger Jahre in Köln kennen gelernt. Damals war er noch Bankangestellter bei einer Sparkasse, der in seiner Freizeit Gedichte schrieb. Ich war wohl der erste, der ihn ermutigte, über Tanz zu schreiben, den er leidenschaftlich liebte. So begann er – wie wir damals so ziemlich alle – fürs Hamburger Tanzarchiv zu schreiben. Von da aus eroberte er sich peu à peu dann weitere publizistische Betätigungsfelder – auch als Fernsehkritiker, bei der Deutschen Zeitung und beim Handelsblatt. Wir haben dann auch eine Weile zusammengewohnt – aber das ging nicht lange gut. Nicht zuletzt wohl, weil er ein sehr ehrgeiziger junger Mann war, der aus dem Schatten eines damals schon ziemlich bekannten oe heraustreten wollte. Und das schaffte er, als es ihm gelang, in den Stuttgarter Nachrichten Fuß zu fassen.

Dort teilten sich damals noch Elisabeth Plünnecke und Kurt Honolka die Ballettkritik, die er aber allmählich in die zweite Reihe abdrängte. Seit 1969 galt er als der Ballettkritiker der Stuttgarter Nachrichten, wenn auch noch Jahre lang als freier Mitarbeiter an Ort und Stelle (erst kurz vor seinem Tode wurde er dort als Redakteur fest angestellt). Das war natürlich genau der richtige Ort, sich zu profilieren – nicht zuletzt gegen die angemaßte oder reale lokale Machtstellung eben jenes gewissen oe bei der Konkurrenz. Das waren ein paar Jahre, in denen wir einen weiten Bogen um einander gemacht haben. Das änderte sich dann aber wieder, und die letzten zwei oder drei Jahre vor seinem Tod verkehrten wir wieder durchaus kollegial mit einander.

Als Nachfolger des 1963 verstorbenen Otto Friedrich Regner hatte er die Herausgabe von „Reclams Ballettführer“ übernommen, was ihm einen wohl verdienten Prestigegewinn eingebracht hatte. So erweiterte er allmählich seine Kreise und sein publizistisches Ansehen. Auch wenn wir wussten, dass es mit seiner Gesundheit nicht zum Besten bestellt war, überraschte uns dann doch die Nachricht, dass er plötzlich an einem Gehirnschlag verstorben war. Es war ein ungemütlicher Frühlingstag, an dem wir ihn auf dem Stuttgarter Prag-Friedhof zu Grabe getragen haben, nachdem Uwe Scholz zuvor in der Kapelle zu Musik von Richard Strauss ihm zu Ehren noch einen Abschiedstanz zelebriert hatte.

Sich heute an ihn zu erinnern, heißt, an die Aufbruchsjahre des Stuttgarter Balletts zurückzudenken, die auch die Jahre waren, während deren sich allmählich eine eigene Stuttgarter Ballettpublikums-Identität herauszubilden begann. Und dazu hat er durch sein publizistisches Engagement in der Zeitung und in der John-Cranko-Gesellschaft und in deren Umfeld (zum Beispiel auch an der Volkshochschule) Wesentliches beigetragen. Wer sich heute informieren will, wie es damals war, in den Jahren des (ersten) „Stuttgarter Ballettwunders“, wird auf Schritt und Tritt auf den Namen Heinz Ludwig Schneiders stoßen.

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