Wo die Buchstaben tanzen: drei Buchempfehlungen

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Stuttgart, 12/02/2004

Wenn denn Agrippina J. Waganowas „Grundlagen des Klassischen Tanzes“ das Alte Testament aller Ballett-Rechtgläubigen ist, so ist die 2003 bei Henschel in Berlin erschienene „Schule des Klassischen Tanzes – Die Waganowa-Methode in der Praxis“ von Vera S. Kostrowiztkaja das Neue Testament – und ihre Übersetzerin Ursula Kirsten-Collein sozusagen die Frau Luther des Balletts. Einmal so gestartet, beginnt meine Fantasie sogleich Amok zu laufen, denn als langjährige methodisch-künstlerische Leiterin der Staatlichen Ballettschule Berlin wäre dann Kirstein-Colleins Wirkungsstätte die preußische Wartburg. Neu auch insofern, als das 319 Seiten starke Buch die Beschreibungen der Bewegungsabläufe durch Fotos von Schülerinnen des Instituts illustriert, während Waganowa sich mit Strichzeichnungen begnügte (ihr Buch ist übrigens, ebenfalls bei Henschel erschienen, noch erhältlich). Es versteht sich, laut Nachwort, „als Leitfaden für Pädagogen (und solche, die es werden wollen)“.

Es ist Ergänzung insofern, als dass es die Aufschlüsselung des Bewegungskanons des klassisch-akademischen Tanzes für die Ausbildungspraxis vornimmt und zugleich einen wertvollen Erfahrungsschatz notiert. Und so geht es vom „Aufbau der Unterrichtsstunden“ und der Erläuterung der „Grundbegriffe“ von den „Battements“ und dem „Rond de jambe“ via dem „Port de bras“ in 13 Kapiteln bis zu den „Wendungen und Umdrehungen im Adagio“ und den „Bewegungen auf der Spitze“ – wobei die grafische Anordnung der jeweiligen Übungen mit ihrer klar voneinander abgesetzten Definition, Ausführung und Anwendung zusammen mit den Illustrationen die Orientierung wesentlich erleichtert. Empfehlen möchte ich, das Nachwort als Vorwort zu lesen – quasi als Ästhetik der Technik des klassisch-akademischen Tanzes (Preis: 24,90 Euro).

Ganz andere Zielsetzungen verfolgt Ian Drivers „Tanzfieber – Vom Walzer bis Hip-Hop – Ein Jahrhundert in Bildern“ – ein opulent ausgestatteter Band zum geradezu lächerlich gering anmutenden Preis von 19,90 Euro, ebenfalls bei Henschel. Locker und flott geschrieben, auf jeder der 256 Seiten mit mindestens einem Foto illustriert (aber meist sind es mehrere – oft auch ganzseitig), reich mit Anekdoten gewürzt, nie den politischen, gesellschaftlichen und generell kulturhistorischen Kontext aus dem Auge verlierend, verfolgt es die atemberaubenden Entwicklungen des populären Tanzes in den Ballsälen, Tanzlokalen und Discotheken, auf der Bühne, in den Revuen, Musicals und Filmen bis zum Streetdance, inklusive Michael Jackson mit seinem Moonwalking und Madonna als Disco-Queen des New Yorker Club und Street Style. Nach diesem Tanz durch die Jahrzehnte folgt dann noch ein Glossar, das vom „Akrobatischen Stepptanz“ und dem afrikanischen Jazz-Tanz „Ballin‘the Jack“ bis zum „Twist“, „Twostep“ und eben „Walzer“ reicht (eine der amüsantesten Abbildungen zeigt eine Ragtime-Dame mit gepolstertem Stoßdämpfer, damit ihr der Partner nicht zu dicht auf den Leib rückt). Eine „Aufforderung zum Tanz“, der schwer zu widerstehen ist (flott übersetzt aus dem Englischen von Petra Thoms).

Nur für Ballettfans, die des Englischen mächtig sind (und über eine gehörige Portion Humor verfügen: „Bluff your way in Ballet“, ein Mini-Bändchen von Craig Dodd bei Oval Books in London zum Preis von 3,99 englischen Pfund. Es wendet sich an diejenigen, die bei Ballettgesprächen Eindruck schinden wollen – als ob sie zum Kreis der „Eingeweihten“ gehörten. Es geht los mit „What Ballet Is“, liefert eine Ballettgeschichte im Telegrammstil, befasst sich dann – strikt alphabetisch – mit den „All-Time Greats“ (von Ashton bis Petipa), stellt ein paar „Modern Masters“ vor (darunter immerhin auch Cranko mit den Balletten „Pineapple Poll“ und „Onegin“ – „pronounced ‚on-yay-gin‘ with a hard ‚g‘ – should not sound like an interval drink“), empfiehlt dann ein paar „Names to drop“ (Carina Ari bis Wayne Sleep, letzterer „blessed with brilliant technique, but insufficient inches to do the premier danseur roles“) und wendet sich dann den von Mr. Dodd privilegiertesten „Ballet Companies“ zu, die von ihm nach Punkten bewertet werden (Höchstbewertungen mit 5 Punkten: The Kirov – immer noch so genannt, selbst in der ‚Updated‘-Ausgabe von 2003 –, das New York City Ballet,  das Nederlands Dans Theater, das Paris Opéra Ballet, das Hamburg Ballet – und, man höre und staune, das Peter Schaufuss Balletten – dem Stuttgart Ballet werden 2 Punkte zugestanden,  The Berlin Ballet, gemeint ist das Ballett der Deutschen Oper, immerhin noch 1 Punkt, denn „The arrival of Peter Schaufuss in Berlin galvanised a sleeping giant“ – ja, das waren noch Zeiten!).

Folgt zum Schluss ein „Glossary“ der „Characters“ („Naiads“ bis „Queen“) und dann eine Auswahl von „Ballet Terms“ („Adage“ bis „Turn-out“). Sehr englisch, diese 63 Seiten, auf denen Ethan Stiefel permanent falsch buchstabiert wird.

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