Wie geht´s weiter mit dem Wiener Staatsopernballett?

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Stuttgart, 25/04/2004

Heftig rumort‘s in der Wiener Gerüchteküche: wie geht´s weiter mit dem Wiener Staatsopern- und Volksopernballett? Kaum ein Tag, an dem nicht ein neuer Name gehandelt wird. Hartnäckig behauptet sich in diesem Karussell der Kandidaten der in Wien besonders populäre Vladimir Malakhov – was nur zu beweisen scheint, wie unrealistisch man die Wiener Situation einschätzt. Eisernes Schweigen herrscht dagegen in den Chefetagen der Wiener Kulturbürokratie. Da flattert uns aus heiterem Himmel ein Offener Brief von Michael Birkmeyer ins Haus, erfolgreicher Intendant des Festspielhauses St. Pölten und als Angehöriger einer der berühmtesten Wiener Tänzerfamilien mit den Ballettverhältnissen in der Donaukapitale (und darüber hinaus mit der internationalen Szene) seit Kindertagen innigst vertraut. Und warum gerade uns in Stuttgart? Weil man sich von uns tatkräftige Entwicklungshilfe erhofft? Dazu wähnen wir uns kaum in der Lage. Gleichwohl spricht aus ihm eine so tiefe Besorgnis über die prekäre Situation, dass ich mich nach reiflicher Überlegung entschlossen habe, ihn publik zu machen – zumal er exakt in die jüngst in Düsseldorf und Essen (und St. Pölten) angestoßene Diskussion über den fahrlässigen Umgang der Politik mit dem Ballett passt.

OFFENER BRIEF

Sehr geehrte Verantwortliche in Sachen Staats- und Volksopernballett! Im November letzten Jahres erwähnte GS Georg Springer am Rande einer Pressekonferenz, dass das Wiener Staatsopernballett und das Wiener Volksopernballett neu geordnet würden. Seitdem ist außer dem Namen Vladimir Malakhov nichts mehr darüber an die Öffentlichkeit gedrungen. Dieser gab am 19. April als designierter Intendant des neu gegründeten Berliner Staatsballetts eine Pressekonferenz in Berlin. Ich glaube kaum, dass er Zeit haben wird, sich daneben auch noch um Wien zu kümmern.

Ich schreibe diesen Brief, da mich die Situation mit großer Sorge erfüllt. Die Verantwortlichen mögen bitte nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen und den neuen Wiener Ballettdirektor nach dem Zufallsprinzip aussuchen. Frei nach dem Motto: Wer ist gerade da, der jemanden kennt, der jemanden kennt, und der wird‘s dann. Das hat uns ja in die jetzige Situation gebracht. Ohne Emotionen sei hier die Situation des Wiener Balletts kurz skizziert: Dass sich das Ballett in den letzten zehn Jahren nicht gerade positiv entwickelt hat, ist leider eine Tatsache. Das Problem sind und waren nie die Tänzer, sondern immer die Strukturen. Wie Beispiele in anderen Ländern zeigen, sind nur jene Ballettcompagnien erfolgreich, die eine vom Opernintendanten unabhängige künstlerische und finanzielle Struktur haben. Das wurde auch bei einer internationalen Tanzenquete im Festspielhaus St. Pölten vom Sprecher der Deutschen Ballett- und Tanzdirektorenkonferenz besonders hervorgehoben. Und das sollte auch für das Wiener Staatsopernballett in Zukunft gelten, wobei der Spielort Wiener Staatsoper selbstverständlich für das Ballett erhalten werden muss.

Um eine Neustrukturierung durchzuführen, wäre zu erwarten, dass die Verantwortlichen mit kompetenten Leuten aus der Tanzwelt Gespräche führen, erfolgreiche Modelle analysieren und nach reichlicher Beratung das bestmögliche Team für die Leitung des Staatsopernballetts engagieren.
Die Politik ist gefordert, sich zur Kunstgattung Tanz zu bekennen und ihm die Strukturen zur Verfügung zu stellen, die er braucht um höchstes Niveau zu erreichen. Damit wäre auch ein sinnvoller Umgang mit den finanziellen und personellen Ressourcen garantiert. Abschließend möchte ich bemerken, dass die Tänzer nie in ihrer Gesamtheit artikuliert haben, was sie wollen und was sie brauchen. Das mag mit ein Grund sein, warum so lustlos und unbeholfen mit der Sparte Tanz in Allgemeinen und mit dem Wiener Staatsopernballett im Besondern umgegangen wurde und wird. Mit freundlichen Grüßen, Prof. Michael Birkmeyer Intendant Festspielhaus St. Pölten

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