Neue DVDs mit Opernballetten von Rameau, Mussorgsky, Prokofjew und Britten

oe
Stuttgart, 04/08/2004

Gerade in der Frühzeit der Oper, besonders bei den Franzosen, war das Ballett meist fester Bestandteil des Werkes – mit Jean-Philippe Rameau als leuchtendem Vorbild. Und da dessen Opern augenblicklich eine regelrechte Renaissance erleben, und zwar nicht nur in Frankreich, sondern auch bei uns, stellen sie für die Regisseure und Choreografen eine echte Herausforderung dar. Die ihnen aber offensichtlich erhebliche Skrupel verursacht. Am liebsten würden sie wohl ganz darauf verzichten – aber dann geraten die dramaturgischen Proportionen (von den musikalischen gar nicht zu reden) durcheinander. Weshalb sie sich meist mit Ersatzlösungen begnügen – wie jüngst in Freiburg bei Rameaus „Dardanus“ (siehe koeglerjournal vom 7. März) mit Beteiligung einer geradezu lächerlich dilettantischen Mimen- und Artistentruppe.

Glücklicher war man vor zwei Spielzeiten in Zürich, wo Heinz Spoerli Rameaus „Les Indes galantes“ inszenierte, unter Mitwirkung seiner kompletten Ballettkompanie. Für Rameaus „Les Boréades“ dagegen begnügte man sich auch in Zürich vor zwei Monaten mit den Junioren, aber da bot der Choreograf Lionel Hoche zuammen mit dem Regisseur Laurent Pelly eine durchaus achtbare Lösung. „Les Boréades“ gab es im vorigen Jahr auch an der Pariser Opéra – in einer sehr zwiespältig aufgenommenen Produktion. Ganz und gar positiv die Reaktion auf die musikalische Realisierung unter der Leitung von William Christie mit einer erstklassigen Sängerbesetzung, aber auch die Inszenierung von Robert Carsen nahm durchaus für sich ein.

Für die Choreografie indessen hatte man eigens Edouard Lock mit seiner kanadischen LaLaLa Human Steps Truppe engagiert, und so bekam man zwar alle von Rameau komponierten Tänze zu hören (und fiel dabei von einem Entzücken ins andere) – doch was die Tänzer dazu ausführten, war eine einzige Hochgeschwindigkeits-Zappelei, mit einem hektischen Port-de-bras-Gefuchtel wie aus einem Chaplin-Film mit Polizisten zur Regelung des Rush-Hour-Verkehrs am New Yorker Times Square. Eine Choreografie, die von Unmusikalität nur so strotzt. Jetzt auch auf DVD bei Opus Arte auf OA 0899 D (2 DVDS, 218 Minuten).

Eine weitere Opernproduktion kommt aus der Wiener Staatsoper: Mussorgskys „Chowanstschina“ – für mich die russischste aller Mussorgsky-Opern (noch tiefer die Zwiespältigkeit der russischen Seele ergründend als sein „Boris Godunow“). Eine Aufführung großen Formats, dirigiert von Claudio Abbado, inszeniert von Alfred Kirchner, mit Sängern vom Kaliber Nicolai Ghiaurovs, Vladimir Atlantovs, Yuri Masurins, Paata Burchuladzes und Ludmila Semtschuks. Darin gibt es im vierten Akt einen immerhin über sechs Minuten dauernden Tanz der Persischen Sklavinnen, den Fürst Chowanskij zur Unterhaltung seiner Gäste aufführen lässt, von Bernd B. Bienert (wo ist er abgeblieben?) sehr verführerisch in der Art von Salomes Schleiertanz choreografiert – mit Marialusie Jaska, Roswitha Over und Jolantha Seyfried als Solistinnen (bei Arthaus Musik 100310, 2 DVDs, 188 Minuten).

Große Ballettbeteiligung auch bei der Produktion von Prokofjews „Krieg und Frieden“ aus dem St. Petersburger Mariinski-Theater, dirigiert von Valery Gergiev, inszeniert von Graham Vick – eine eher gediegen-solide Aufführung mit den großen Gesellschaftstänzen des Silvesterballs, choreografiert von Alexander Polubentsev, ausgeführt offenbar von dem für den normalen Vorstellungsbetrieb abgestellten Opernballett des Hauses (Arthaus Musik 100 370, 2 DVDs, 248 Minuten).

Schließlich Brittens „Death in Venice“ mit der großen Szene der „Spiele des Apollo“ als Evokation des Geistes antiker Schönheit und Grazie. Die hatte Ashton bei der Uraufführung als klassisches Ballett choreografiert. Die DVD Aufnahme ist die spätere Produktion einer Inszenierung für Glyndebourne (mit Robert Tear als Aschenbach), choreografiert von Martha Clarke, mit Paul Zeplichal als Tadzio – als ein eher gymnastisch-sportiver Wettkampf nach Art des olympischen Penthalon unter Knaben. Von der Verklärung apollinischer Schönheit kann hier allerdings ebenso wenig die Rede sein wie in Neumeiers Ballett – jedenfalls nach meiner Vorstellung von apollinischer Schönheit. Gern wüsste ich, wie Philip Lansdale in seiner Ballettproduktion des „Tod in Venedig“ in Bielefeld diese Szene gelöst hat, aber davon habe ich erst erfahren, als die letzte Vorstellung bereits stattgefunden hatte. (Arthaus Musik, 100 172, 1 DVD, 138 Minuten).

Kommentare

Noch keine Beiträge