N. Reynolds & M. McCormick: „No Fixed Points - Dance in the Twentieth Century“

Teil II

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Stuttgart, 11/08/2004

Man kennt ja seine Pappenheimer! Hauen die Amerikaner unseren John Neumeier, hauen wir ihren Mark Morris! Doch im Ernst: Es gibt offenbar noch immer unüberbrückbare Gegensätze in der Einschätzung von Choreografen diesseits und jenseits des Atlantik. So lesen wir immer wieder die doch alles in allem recht zwiespältigen Reaktionen der Amerikaner etwa über Jiří Kylián und wundern uns andererseits über ihre mehr oder weniger herablassende Würdigung etwa John Crankos. Da war ich besonders neugierig, wie denn wohl Nancy Reynolds und Malcolm McCormick in ihrer kompakten Geschichte des Tanzes im 20. Jahrhundert den deutschen Beitrag zur internationalen Szene würdigen würden. Und muss ihnen nun eine ihnen nicht so unbedingt zugetraute Fairness bescheinigen. Alles in allem: Der deutsche Tanz kommt besser weg als ich es erwartet hatte.

Schon im dritten Kapitel (das erste befasst sich mit den amerikanischen Pionieren à la Fuller, Duncan und Denishawn – und das zweite mit Diaghilew und dem Erbe der Ballets Russes) geht es um den Dance of Expression, den Ausdruckstanz à la Laban, Wigman, Schlemmer und das Bauhaus, den Podiumstanz, Kreutzberg, Jooss, Ausdruckstanz und Nationalsozialismus – auf immerhin 29 Seiten. Die doch sehr deutsche Ideologie des Ausdruckstanzes leiten sie aus der Gesamtkunstwerk-Philosophie Richard Wagners ab, in dem sie „the supreme German culture hero“ sehen. Sehr detailliert gehen sie auf Labans Theorien ein, aber auch Wigman erfährt eine überaus positive Würdigung – mit Verständnis selbst für ihr Verhalten im Dritten Reich. Schlemmer und das Bauhaus, Palucca, Kreutzbergs nachhaltiger Einfluss auf den amerikanischen Tanz, Georgi, Jooss, Dore Hoyer: Sie alle sind durchaus angemessen in dieser Panoramasicht des euro-amerikanischen Tanzes in der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts vertreten.

Erst im 12. Kapitel taucht Deutschland wieder auf – es heißt „Internationalism: The Merging of the Disciplines“ – da geht es um den Einfluss des Modern Dance auf Europa, und zwar via Cullberg, Butler, Tetley, Béjart, van Manen, van Dantzig, Kylián (sogar mit Akzent!) – und dann sind Neumeier und Forsythe an der Reihe, bevor es weitergeht mit Rambert as a modern company etc. Neumeier ist dann im Index mit nicht weniger als 15 Verweisen vertreten, Forsythe mit immerhin 11 – und man muss schon sagen, beide erscheinen mit ihren sehr unterschiedlichen Zielsetzungen ausgesprochen fair und verständlich dargestellt. Sie sind Teile eines sechsseitigen Abschnitts über Germany, in dem zumindest knapp auch auf das Wirken Tatjana Gsovskys, auf das Tanz-Forum Köln, Peter van Dyk in Hamburg und MacMillan in Berlin verwiesen wird.

Im 13. Kapitel „Ballet Rising“ (1960-1990s) wird Cranko zusammen mit MacMillan diskutiert – ausgesprochen wohlwollend: „Cranko made the full-length story ballet his and the Stuttgart's signature“ – interessant ist auch der Kommentar über Arlene Croces durchweg negative Meinungen über Crankos Choreografien, in dem die beiden Autoren konstatieren: „It was not always clear whether Croces‘s frequent negative remarks wer prompted more by the company‘s extravagant, Hurok-generated publicity or the artistic product itself.“ Deutschland kommt dann noch einmal größer im Kapitel 14 „Ballet‘s High Tide“ (1960-2000) zum Zuge, auch Ostdeutschland (sehr positiv: Tom Schilling), und hier werden auch das Ballett der Deutschen Oper Berlin (Panov), die Deutsche Oper am Rhein und München kurz erwähnt, bleiben aber namenlos.

Dafür gehen Reynolds und Mccormick im Kapitel 15, „Late Modernism: Pluralism and the Ascendancy of Style“ (1960s-2000) nochmals auf Deutschland ein – vor allem auf Pina Bausch und das deutsche Tanztheater – auf immerhin acht Seiten, mit Seitenblicken auch auf Susanne Linke und Reinhild Hoffmann. Keine Erwähnung finden Gerhard Bohner, Johann Kresnik, Uwe Scholz und Renato Zanella – und auch der Ruhm Martin Schläpfers ist offenbar noch nicht über den Atlantik gedrungen – wohl aber der von Heinz Spoerli, dem eine „esxcessive facility in much of his work“ bescheinigt wird.

Da sind wir ja noch einmal glimpflich davongekommen! Übrigens widmet das August-Heft des amerikanischen Dance Magazine eine Doppelseite „In the Shadow of the Reich – Modern Dance in Hitler‘s Germany“. Darin geht es um drei Buchbesprechungen: um die ja auch hier kürzlich empfohlenen Briefe „Liebe Hanya: Mary Wigman‘s Letters to Hanya Holm“ (kj vom 14.6.2004) – um Isa Partsch-Bergsohns und Harald Bergsohns „The Makers of Modern Dance in Germany: Rudolf Laban, Mary Wigman, Kurt Jooss“, Highstown, NJ, Princeton Book Co. 2003 – und um Lilian Karinas und Marion Kants „Hitler's Dancers: German Modern Dance and the Third Reich“, New York and Oxford, Berghahn Books 2003.

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