Lena Amsel: eine vergessene Tänzerin

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Stuttgart, 21/04/2004

Dies sind, auf 157 Seiten, zwei Bücher in einem. Im ersten ist es der titelgebende „Roman einer Tänzerin“ auf 101 Seiten. Das zweite, auf Seite 101 beginnend, fungiert als „Nachwort“. Dabei ließe sich darüber streiten, welches das wichtigere ist. Der „Roman einer Tänzerin“ ist als Erstausgabe aus dem Nachlass erschienen, rund siebzig Jahre nach seiner Fertigstellung. Er stammt von Ruth Landshoff-York, einer 1904 geborenen Journalistin und Schriftstellerin, die in den turbulenten Jahren der Weimarer Republik in Berlin Karriere gemacht hatte. 1933 war sie, aus einer gutbürgerlichen jüdischen Familie stammend, erst nach Paris und dann nach New York emigriert, wo sie 1967 starb.

Die Druckfahnen ihres „Romans einer Tänzerin“ hatten sie noch in Paris erreicht, doch zu einer Veröffentlichung ist es nicht mehr gekommen. In einem Nachruf, der im deutschsprachigen „Aufbau“ in New York erschienen ist, heißt es: „Sie war eine ungewöhnliche faszinierende Erscheinung. Im Berlin ihrer Jugendjahre ein Liebling der damaligen Edel-Bohème – schön, klug, unternehmend, vorurteilslos. Sie hatte sich ihr eigenes Milieu geschaffen, das aus den Kreisen der Kunst, der Bühne, der Jeunesse dorée, der Avantgarde aller Gebiete bestand. So wurde sie ein Mittelpunkt der Welt, die sich nicht langweilte.“ Und der Verfasser des Nachworts, Walter Fähnders, beschreibt sie als Verfasserin „schneller Texte einer ebenso schnell lebenden Autorin vom Typ ‚Neue Frau‘“. Eine andere Vicky Baum?

Ihren „Roman einer Tänzerin“ aber liest man wie ein Berliner Pendant zu den Jazz-Age-Romanen F. Scott Fitzgeralds. Sie schildert darin, mit deutlichen autobiografischen Bezügen, das hektische Leben einer Frau, die sie Lena Vogel nennt – modelliert nach dem Leben einer gewissen Lena Amsel, die als blutjunge Tänzerin in Berliner Varietés der Kriegs- und Nachkriegsjahre für Furore gesorgt hatte, dann aber ihre Karriere zugunsten ihres äußerst promiskuitiven Liebeslebens frühzeitig an den Nagel gehängt hatte, außer in Berlin auch in Wien und Paris und zwischendurch auf dem Lande verheiratet war und ein schreckliches Ende nahm, als sie 1929 mit ihrem Auto – wie Isadora Duncan zwei Jahre zuvor – tödlich verunglückte.

Diese Lena Amsel alias Lena Vogel hat also wirklich existiert. Wie Landshoff-York sie schildert, scheint sie eine Erscheinung wie Anita Berber gewesen zu sein – als Tänzerin freilich weniger begabt. Immerhin wird sie in der Zeitschrift „Elegante Welt“ als „eine der begabtesten und vielversprechendsten unter den zahlreichen jungen Tänzerinnen“ beschrieben: „Lena Amsel verfügt so ziemlich über alles, was man von einer jungen Tanzkünstlerin mit Fug und Recht erwarten darf: eine vorzügliche Erscheinung, Temperament und ein sicheres technisches Können.“ Das allerdings stellte der Tänzer Walter Kujawski gründlich in Abrede: „Können tat sie – bei Gott – Garnichts. Oder nur sehr wenig. Aber diese mollig-niedliche Person hatte es sich eben in den Kopf gesetzt, dass sie tanzen müsse. Sie sah einmal in die Übungsstunden einer Tanzschule. Das genügte, es gelang ihrer exquisiten Anmaßung, der Welt einzureden, dass sie eine Tänzerin sei.“

Vielleicht das Erhellendste in den 157 Seiten dieses Büchleins ist der Verweis auf Klaus Manns „Der Wendepunkt. Ein Lebensbericht“. Ihm attestiert Fähnders als Verfasser des „Nachworts“, dass er „im Tanz, in der Figur der Tänzer jene ‚Obsession‘“ gefunden habe, „der die Republik wie keiner anderen gehuldigt habe. Diese Leidenschaft des Tanzens gerät ihm zur Allegorie auf die Republik überhaupt. ‚Die deutsche Reichsmark tanzt: Wir tanzen mit mit! ‘“, schreibt er, und weiter: „Hier ist auch Lena Amsel angesiedelt und mit ihr ihr fiktionales Double, Lena Vogel.“ Deren Leben aber wirbelt in diesem Roman vorbei in einem einzigen rauschhaften Tanz. (Ruth Landshoff-Yorck: „Roman einer Tänzerin“. AvivA Verlag, Berlin 2002, ISBN 3-932338-15-4, 157 Seiten, 16.50 Euro)

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