Kurt Weill: „Die Zaubernacht“

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Bregenz, 06/08/2004

Sie ist das Theateropus Nummer eins, diese „Zaubernacht“, Ballettpantomime von Kurt Weill, die 1922 in Berlin zur Uraufführung gelangte. Der Komponist war damals gerade so alt wie das Jahrhundert, und in seinem knapp einstündigen Werk geistern alle möglichen Vorbilder und Modelle herum – von Debussy und Ravel bis zu Hindemith und Strawinsky. Die Originalpartitur ist zwar verloren gegangen, und so ist das, was wir hören, eine Rekonstruktion nach dem Klavierauszug – aber der Weillsche Tonfall ist schon hier unverkennbar. In dem Stück geht es um eine Fee, die in der Nacht Puppen und Märchenfiguren belebt, und wie die Vorstellung auf der Werkstattbühne des Bregenzer Festspielhauses beginnt, befürchtete ich schon, mit einer „Puppenfee“ für Contergan-Geschädigte konfrontiert zu werden. Ganz so schlimm wurde es dann aber doch nicht.

Die Uraufführung in Berlin scheint eine semiprofessionelle Angelegenheit hauptsächlich mit Ballettschülern gewesen zu sein. Sie blieb jedenfalls folgenlos bis zu einer Kölner Schallplatteneinspielung im Jahr 2000, für die Jochen Ulrich mit ein paar Tänzern des ehemaligen Tanz-Forums eine Art szenische Rohfassung präpariert zu haben scheint. Eine weitere Aufführung anlässlich des Weill-Festes 2003 in einer Dessauer Kirche scheint auch eher ein halbherziger pantomimischer Annäherungsversuch gewesen zu sein, so dass man die jetzige Bregenzer Produktion (zu der Schallplatteneinspielung) mit Fug und Recht als professionelle Uraufführung reklamieren kann.

Sie wurde bestritten von Nicolas Musin und der St. Pöltener abcdancecompany und kann sich durchaus sehen lassen – wenn ich ihr auch eine stringentere Dramaturgie anstelle der sehr losen Szenenfolge gewünscht hätte (und erschrocken aufgemerkt habe, als Musin ihr ein paar ganz unweillsche Popmusiken interpoliert hatte). Mit sehr bescheidenen szenischen Mitteln (was man doch alles mit Kleiderbügeln anstellen kann!), kunterbunt fantasievollen Kostümen und Masken und elf Tänzen hat Musin die „Zaubernacht“ als ein Puppenspiel inszeniert, in dem Vater (Guido Verwer) und Mutter (Georgette Sanchez) ihre beiden Kinder (Monica Cervantes und Karl Schreiner) zu Bett bringen und lauter Fantasiegestalten zum Leben erwecken.

Das gibt sich durchaus einfallsreich in einem stark pantomimisch akzentuierten Groteskstil choreografiert, stilistisch irgendwo zwischen Valeska Gert und Lotte Goslar, doch ohne die zynische Schärfe der einen und ohne den Herzenshumor der anderen. Musikalisch schmeckt das alles doch sehr nach Bitterschokolade (und das meine ich positiv), und ich höre auch viel Berlin der „roaring twenties“ heraus. Das hätte ich mir szenisch noch profilierter und markanter gewünscht – mehr in Richtung George Grosz und nicht gar so possierlich. Aber die St. Pöltener haben sich mit sichtlicher Wonne in die vielen Rollen gestürzt, die ihnen Musin auf den Leib choreografiert hat. Das Publikum war sichtlich zufrieden, und der bekennende Weill-Fan hat einmal mehr die kompakte Weill-Konzentration der diesjährigen Bregenzer Festspiele mit ausgesprochenem Vergnügen goutiert. Die theatralische Pranke des geborenen Bühnenkomponisten ist eben auch schon in diesem Frühwerk des Twens zu spüren.

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