Junge Choreografen bei der Noverre-Gesellschaft

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Stuttgart, 27/04/2004

Natürlich war dieser Abend schon seit Monaten geplant – und natürlich wussten die dafür eingeladenen zwei Choreografinnen und fünf Choreografen schon seit Monaten, was sie dafür erarbeiten wollten. Gleichwohl mutet es knapp drei Wochen nach der jüngsten Premiere des Stuttgarter Balletts mit der Uraufführung von Itzik Galilis „Hikarizatto“ einigermaßen überraschend an, nicht weniger als vier der sieben Ballette so stark aufs Beleuchtungs-Design setzen zu sehen. Nicht nur in Goyo Monteros „Godspeed“ für Alicia Amatriain und Ivan Gil Ortega und Martin Buczkós und Sebastian Nichitas „Resonantia“, das sie für sich selbst choreografiert haben, sowie in Lior Levs „RalaRatza“ (ebenfalls ein Duo – für Lev und Ralitza Malehounova), sondern auch von Marco Goecke, der für sein „Ickyucky“ sogar als Koautor für Lichtdesign und Beleuchtungseinrichtung den Kollegen Udo Haberland nominiert.

Beschränken sich Montero und Buczkó/Nichita primär darauf, ihre Duo-Partnerschaften aus Lichtspots herauszuleuchten, während Lev mit zahlreichen Beleuchtungswechseln arbeitet, so fungiert bei Goecke die Beleuchtung als partnerschaftlicher Beteiligter an der Choreografie – wie bei Galili. So dass man sein Ballett für vier plus vier Tänzerinnen und Tänzer fast als eine Fortsetzung von Galilis „Hikarizatto“ zu bezeichnen versucht ist. Was natürlich nicht stimmt. Was jedoch auch insofern seine Berechtigung hat, weil es mit gleicher Rasanz über die Bühne stiebt, so dass man am Schluss fast ebenso atemlos ist wie die Tänzer. Nach seinem zweiten Ballett für New York scheint Goecke mit einem ungeheuren Energieschub an den Neckar zurückgekehrt zu sein. Den könnte ich mir als Fortsetzer der Stuttgarter ersten Choreografen-Liga in der kreativen Nachfolge der Neumeier-Kylián-Forsythe-Scholz vorstellen!

Goecke führt uns zunächst einmal in die Irre, indem er einen Mann an Krücken über die Bühne hampeln lässt, bevor dann sein Vier-Männer-Pulk wie ein Elementarereignis hereinbricht, so dass man den Eindruck hat, sie seien auf einem in rasender Geschwindigkeit abgespulten Laufband montiert – und zwar alle mit dem Rücken zum Publikum. Diese frontale Rückenpräsentation zieht sich dann durch die zahlreichen Episoden des ganzen Stücks, einzeln und in Reihen – wie ich mich denn nicht erinnern kann, je ein Ballett gesehen zu haben, das so permanent dem Zuschauer den oder die Rücken zukehrt. Das geht so weit, dass später dann ganze Episoden auf dem Rücken getanzt werden. Das muss man sich erst einmal vorstellen! Nicht etwa im Huckepack-Verfahren, sondern mit dem Rücken flach auf dem Boden – so dass der Rücken die Füße ersetzt.

 Das sieht so aus, als ob Amöben auf dem Parkett herumwuseln – und das in einem ganz unglaublichen Tempo. Wie machen die das bloß? Ist ja doch ganz unglaublich, was heutzutage so alles von Tänzern verlangt wird (übrigens auch vorher schon, in Ralitza Malehounovas „1 Big Bla Bla“-Pas-de-trois für Sabrina Russo, Damiano Pettenella und Stefan Stewart, in dem Russo anfangs in einem Aquarium herumplätschert und auch taucht, als probte sie die Undine oder für Wagners „Rheingold“). „Hikarizatto“ und gleich darauf nun „Ickyucky“ (ein Ballett über das Rücken-Jucken?): damit scheint sich das Stuttgarter Ballett in eine neue Dimension vorgetanzt zu haben. Da kann man nur noch staunen! Die Tänzer, die sich auf diese Expedition begeben haben, heißen Alicia Amatriain, Marieke Lieber, Katarzyna Kozielska, Jessica Truesdale, Damiano Pettenella, Sébastien Galter, Stefan Stewart und Mikhail Soloviev.

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