Georg Friedrich Händel: „Radamisto“

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Zürich, 14/03/2004

Händels „Radamisto“ vom Londoner Jahrgang 1720 ist eine Opera seria in drei Akten – sehr heroisch, sehr seriös, immer wieder am Abgrund des Todes balancierend. Sie kommt ohne Chor und ohne Ballett aus. Auf dem Besetzungszettel des Zürcher Opernhauses zeichnet Claus Guth für die Inszenierung verantwortlich. Ein Choreograf ist nicht genannt, auch kein choreografischer Assistent, wohl aber sechs Tänzerinnen und zwei Tänzer. Also muss wohl der Regisseur auch für das zuständig sein, was man als Choreografie zu definieren versucht ist.

Das lässt Schlimmstes befürchten – erweist sich indessen als ein Glücksfall. Aber dazu muss man wohl ein so musikdeterminierter Regisseur wie Guth sein. Dieser „Radamisto“ mutet so spannend wie ein Film von Almodovar an: moderne Menschen, ständig von Todesfurcht bedroht, am Rande des Nervenzusammenbruchs. Sie bedienen sich einer Körpersprache, die man wohl als exaltiert bezeichnen kann. Entsprechend ihre Gestik: super-expressiv – immer wie ein Ausrufezeichen in den Raum projiziert – als ob die Musik in ihnen einen Augenblick gerinnt. Strengstens stilisiert – eben: choreografiert, aber sich nur an wenigen Stellen im Tanz wiegend. Und die sind dann eher aus dem Gesellschaftstanz abgeleitet. Die Tänzer doubeln als Geistererscheinungen in Parallelbewegungen die Sänger, gewinnen nur in einer einzige Szene Selbständigkeit, wenn sie dem schurkischen Tyrannen mit ihren Messern wie Rachegötter auf den Leib rücken.

Das hat absolut nichts mit Ballett zu tun. Ist auch nicht das, was Regisseure, die sich besonders musikalisch dünken, unter choreografischer Regie verstehen, indem sie jede musikalische Phrase, jeden musikalischen Akzent durch eine entsprechende Bewegungsfolge, eine Geste illustrieren zu müssen glauben – und sich dadurch lediglich als musikalische Pedanten zu erkennen geben.
In Guths „Radamisto“ ist jede Geste, jeder Schritt nahtlos in die Inszenierung integriert – musikgezeugt, ohne sich der Musik zu unterwerfen, ohne sich verpflichtet zu fühlen, sie visualisieren zu müssen. Es ist der Versuch, das Verhältnis von überwiegend gesungener Musik und Bewegung neu zu definieren – ein Versuch, der hundertprozentig geglückt ist. Zur Nachahmung aber nur so musikbestimmten Regisseuren zu empfehlen wie Claus Guth einer ist!

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