Christoph Willibald Glucks Ballettoper „Armide“

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Wiesbaden, 17/05/2004

Welch ein Werk! Und da spielen unsere Opernhäuser von Gluck immer und immer wieder diese langweiligen „Opheus und Eurydike“, allenfalls noch die beiden „Iphigenien“ – und wenn‘s hoch kommt die „Alceste“. Hingegen ist mir in meiner nunmehr über sechzigjährigen Opernpraxis Glucks späte „Armide“, Drame héroïque in fünf Akten, Jahrgang 1777, überhaupt noch nie begegnet. Die letzten großen Produktionen fanden offenbar beide 1996 statt: in Hamburg und, inszeniert von Pier Luigi Pizzi und choreografiert von Heinz Spoerli, an der Mailänder Scala.

Dem Himmel sei Dank, dass sich das Hessische Staatstheater im Rahmen der Wiesbadener Maifestspiele jetzt daran gewagt hat, denn es handelt sich um eine ausladende Zauber- und Ballettoper von wahrhaft überwältigendem musikalischen Reichtum. Armida ist die legendäre Verführerin und Zauberin aus Tassos Kreuzritter-Epos „Das befreite Jerusalem“ mit einer Liebeshass-Story um sie und den Ritter Renaud (alias Rinaldo bei Händel). Die musikalische Realisierung unter dem jungen französischen Dirigenten Sébastien Rouland, mit kompetenten Sängersolisten und dem fulminanten Chor, ist denn auch der Aufführung bester Teil und lässt dringend den Wunsch aufkommen nach einer werkentsprechend groß dimensionierten Inszenierung. Denn, wie gesagt, die Partitur mit ihren zahlreichen tänzerischen Szenen und Divertissements müsste eigentlich jeden musiksensiblen Choreografen herausfordern.

Das tat sie denn auch in Wiesbaden, wo Avshalom Pollak und Inbal Pinto sich für Inszenierung, Choreografie und Ausstattung verantwortlich zeichneten. Die beiden, er ein Regisseur, sie Choreografin, leiten gemeinsam die Inbal Pinto Dance Company in Tel Aviv und hatten damit im Vorjahr bei den Wiesbadener Maifestspielen erfolgreich gastiert. Dies ist ihre erste Opernregie überhaupt, und das merkt man denn auch: begabt und ungemein einfallsreich, zweifellos, aber doch auch mit vielen Leerstellen! Die Pollak/Pintos haben dieser „Armide“ als Theaterspektakel einen Fantasy-Look verpasst, skurril, ziemlich schräg, naiv und doch augenzwinkernd, mit vielen lustigen Video-Projektionen. Irgendwo zwischen Monty Python und Harry-Potter-Land. Reichlich spinnert auch die Kostüme und Kopfbedeckungen.

Die Choreografie: ein Mix aus levantinischer Älpler-Folklore, Getrappel, Gestampfe und Gehüpfe samt grotesk auf die Schippe genommener Klassik (besonders für die pummeligen Najaden, die wie überfütterte Sumo-Hasen aussehen). Viele Symmetrien, auch in den verschrobenen, oft diagonalen Körperhaltungen. Lustig, lustig – aber insgesamt doch ziemlich unbedarft! Doch wenigstens nicht musikbeschädigend. Von den Solisten, dem Chor, dem Corps de ballet und Extraballett ansteckend gut gelaunt und mit Pfiff serviert. Und so verließ man die Wiesbadener Vorstellung, dankbar für die Bekanntschaft mit einer hinreißenden Gluck-Oper, der man gern bald einmal wiederbegegnen würde, und die sich durchaus neben Händels populärerem „Rinaldo“ behaupten kann.

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