Vorhang auf zur neuen Spielzeit

oe
Stuttgart, 14/10/2003

Es ist Mitte Oktober, aber wirklich kreative Ballettpremieren hat es bisher offenbar an unseren Bühnen nur im deutschsprachigen Ausland gegeben: bei Heinz Spoerli in Zürich (die Komplettierung der Bach-Cellosuiten mit „In den Winden das Nichts“ – da muss ich immer aufpassen, nicht zu schreiben „In den Windeln das Nichts“) und bei Peter Breuer in Salzburg („The Wall“). Im Übrigen: Wiederaufnahmen allenthalben – und Auslandstourneen (Hamburg mit „Nijinsky“ in Madrid, Berlin mit „Die Bajadere“ bei „Basel tanzt“, Stuttgart – ohne Cranko – in Kairo).

Echt kreativ starteten auch von unseren Tanztheatralen einzig Sasha Waltz und Irina Pauls in die neue Spielzeit: Waltz mit „Insideout“ beim Steirischen Herbst der Kulturhauptstadt Graz (inzwischen an die Berliner Schaubühne übernommen) und Pauls in Heidelberg (mit „Mozart für Beine, Arme und andere Körperteile“). Denn auch Amanda Miller in Freiburg leistete sich mit „Amusias“ eine eher halbe Premiere (Wiederaufnahme von „Pretty Ugly“ plus neu „Butterfly Effect“), während sich Johann Kresnik in Bonn für sein Debüt mit dem Recycling seines Berliner „Picasso“ begnügte.

Also warten wir in der zweiten Oktober-Hälfte erst einmal auf den Choreografen-Mix an der Komischen Oper in Berlin, den neuen Martin Schläpfer in Mainz und den neuen Stephan Thoss in Hannover (ob sich der wohl bewusst ist, dass sich am 29. Oktober der hundertste Geburtstag von Yvonne Georgi jährt? Aber vielleicht widmet er ihr ja seine „Begegnungen“ am 19.) – und mit besonderer Spannung natürlich auf Birgit Keils Start am 25. in Karlsruhe! Die „großen“ Uraufführungen folgen ohnehin erst später: Christian Spucks „Lulu“ am 5. Dezember in Stuttgart, John Neumeiers „Tod in Venedig“ am 7. Dezember in Hamburg (nach der Baden-Badener Vorpremiere am 28. November).

Balanchines „Hundertstem“ (am 22. Januar) scheint groß nur in Zürich (am 1. November) mit „Rubies“, „Duo concertant“ und „Theme and Variations“ und in Stuttgart (am 17. Juli) mit „Serenade“, „Apollo“ und „The Four Temperaments“ gedacht zu werden. Ansonsten müssen wir uns wohl auf eine Spielzeit mit zahlreichen Übernahmen und Wiederaufbereitungen gefasst machen (Staatsoper Berlin, München, Düsseldorf-Duisburg, Dresden, Leipzig, Wien, Düsseldorf, Essen etc.), bevor Stuttgart am 8. April gleich zu drei Uraufführungen (von Mauro Bigonzetti, Douglas Lee und Itzik Gallili) einlädt. Weitere Uraufführungen gibt es wohl in Mainz, Ulm, Augsburg, Karlsruhe, Mannheim, Kiel, Osnabrück sowie Nürnberg und, keinesfalls zu vergessen, in Wuppertal – allerdings: Nichts Genaues weiß ich (bisher) nicht. Doch bekanntlich stirbt die Hoffnung ja nie!

Übrigens scheinen sich neue Klassiker-Produktionen in der laufenden Spielzeit eher rar zu machen. Von James Sutherlands „Giselle“ in Pforzheim einmal abgesehen, registriere ich bisher lediglich Karlsruhes „Don Quijote“ am 10. Januar (und hoffe inständig, dass es sich bei der Inszenierung von Jaroslav Slavicky nicht um eine Antiquität aus der Mottenkiste des ehemaligen sogenannten sozialistischen Realismus handelt) und Hannovers „Zwischen Mitternacht und Morgen: Schwanensee“ am 31. Januar, wo Thoss „die Geschichte von Odette, Siegfried und Rotbart auf ihren essentiellen Kern hinterfragen“ will. Na denn frag man schön!

Top-Ereignis werden dann wohl am Schluss der Spielzeit die Hamburger Gala-Abende zum dreißigjährigen Bestehen des Hamburger Balletts unter der Leitung von John Neumeier sein. Übrigens teilt mir mein Moskauer Informant mit, dass das Hamburger Ballettgastspiel in St. Petersburg ein überaus positives und breites Echo in den russischen Medien gefunden hat (sogar in Moskau, das den Ereignissen in St. Petersburg immer eher skeptisch gegenüber steht) – ja, dass die Hamburger im Vergleich zu den nach ihnen gastierenden Kompanien des Royal Ballet und des New York City Ballet eindeutig bevorzugt worden seien. Ob das wohl auch das Pressebüro des Hamburger Balletts inzwischen bemerkt hat? Wenn wir schon aus den deutschen Tageszeitungen und Fachzeitschriften nichts darüber erfahren haben: wie wäre denn, wenn die Hamburger uns wenigstens im Internet darüber informieren würden?

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