Sabine Huschka: „Moderner Tanz“

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Stuttgart, 21/02/2003

Eine äußerst strapaziöse Lektüre erwartet die Leser von Sabine Huschkas „Moderner Tanz“, erschienen in der Reihe „rowohlts enzyklopädie“ im Rowohlt Taschenbuch Verlag, re 55637, Hamburg 2002, 379 Seiten, diverse Schwarz-weiß-Abbildungen, ISDN 3 499 55637 5, 14.90 Euro.
Ja, ich hatte die Lektüre schon fast aufgegeben, mich mühselig durch die drei Eröffnungskapital gequält: „Tanz beschreiben“? „Der Bühnentanz im 20. Jahrhundert“ und „Wahrnehmen und Verstehen von Tanz“, war vom Lesen zu immer häufigeren Surfen übergegangen, mit immer größeren Auslassungen und fühlte mich hoffnungslos überfordert von den kopflastigen Erörterungen der bewundernswert belesenen Autorin und ihren ersten 86 Seiten.

Ich habe dann aber doch weitergelesen und in dem vielfach unterteilten vierten Kapitel des Buchs – immerhin 263 Seiten – die wunderlichsten kontroversen Erfahrungen gemacht. Es ist betitelt „Choreographen und Choreographien. Konzepte – Methoden – Utopien“ (wobei entgegen dem Eingangs-Statement: „Die Schreibweise entspricht den Regeln der neuen Rechtschreibung“ Choreographie immer so und nicht neudeutsch Choreografie geschrieben ist). Der erste Abschnitt heißt „Die ‚Erfindung‘ des modernen Tanzes“, führt ein in die „Körperkulturbewegung um 1900“ und beschäftigt sich dann mit den Pionierinnen Loïe Fuller, Isadora Duncan und Ruth St. Denis. Das ist alles anschaulich und nachvollziehbar geschrieben und liefert geradezu modellhafte Porträtstudien dieser drei Wegbereiterinnen des modernen Tanzes. Darauf folgen „Moderne Ballette“ über Diaghilew und die Ballets Russes, Nijinsky und Balanchine.

Auch hier referiert die Autorin konzentriert und einleuchtend – und die 14 Seiten über Nijinsky „Die Dynamische Rückbeziehung der Bewegung an den Körper“ gehören mit zum Besten, was ich je über den Tänzer und Choreografen Nijinsky gelesen habe. Anschließend ist „Der deutsche Ausdruckstanz“ an der Reihe, exemplifiziert an Rudolf von Laban und Mary Wigman – bei Laben habe ich wieder Schwierigkeiten (das liegt aber auch an mir, da mir seine verquaste Sprache gründlich zuwider ist), während ich Wigman wiederum ausgesprochen plausibel porträtiert finde, inklusive ihrer opportunistisch-faschistoiden Züge (auch bei Laban). Ganz exzellent liest sich die Positionierung des „amerikanischen modern dance“, festgemacht an den Persönlichkeiten von Humphrey, Graham und Cunningham.

Dann spüre ich wieder schwammigen Boden unter den Füssen, wenn es um den „amerikanischen postmodern dance“ geht, mit Seitenblicken auf das Judson Dance Theatre, Yvonne Rainer, Lucinda Childs, Trisha Brown, Grand Union und Steve Paxton. Der nächste Abschnitt heißt „Tanz/Theater“ und befasst sich mit Bausch (glänzend!), Forsythe (schwierig, aber lohnend) und de Keersmaeker (OK). Dann aber verließ mich zum Schluss wieder alle Hoffnung, wenn es im siebten Abschnitt um „Zeitgenössische Tendenzen“ geht, demonstriert an Xavier Le Roy, Jerome Bel und Meg Stuart, die alle drei meinem Tanzverständnis völlig entgegengesetzt positioniert sind.

Dabei behaupte ich sehr wohl, bis zu Cunningham aufgeschlossen zu sein für alle diejenigen, die hier unter „Moderner Tanz“ firmieren (eher widerwillig allerdings, was Laban angeht). Dass ich auch nachvollziehen kann, was die Pioniere des Tanztheaters bewegt, wenn mich auch deren barbarische musikalische Akte gründlich nerven (und das gilt sowohl für Bausch – nach ihren Gluck-Opern und „Sacre“ – wie auch für Forsythe und nicht ganz so prononciert für Keersmaeker). Wenn allerdings das, was Le Roy, Bel und Stuart e tutti quanti praktizieren, zeitgenössischer Tanz ist, muss ich zugeben, dass ich offenbar ein hoffnungsloser Fall bin und bekenne mich kleinlaut als einen Mann des altmodischen Tanzes.

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