Debüt des Münchner K. Kieser Verlags

oe
Stuttgart, 07/12/2001

Das Feld der deutschen Verlage, die zumindest einen Teil ihres Programms der Publikation von Büchern über den Tanz widmen, ist nicht sonderlich reich bestellt. Der am längsten auf diesem Gebiet engagierte Florian Noetzel Verlag in Wilhelmshaven krankt an der dilettantischen personellen Ausstattung seines Lektorats. Der Friedrich Verlag steckt nach jedem neuen Vorstoß erst einmal wieder zurück und legt bis zur nächsten Veröffentlichung eine größere Verschnaufpause ein. Der Henschel Verlag zeigt sich zwar sehr bemüht, kommt aber ebenfalls nur sehr stockend und mühsam voran (immerhin dürfen wir hier auf das dringend benötigte neue Tanzlexikon – nicht von oe! – hoffen – doch wie lange müssen wir noch darauf warten?). Auch das Deutsche Tanzarchiv Köln und der Ulrich Steiner Verlag tun sich schwer und publizieren von offenbar heftigen Schluckauf-Beschwerden geplagt. (Gegendarstellungen der genannten Verlage sind ausgesprochen erwünscht!)

Umso mehr ist der Start eines neuen Unternehmens zu begrüßen, das sich – ohne Bekanntgabe eines dezidierten Programms – ausschließlich der Veröffentlichung von Büchern über den Tanz zu widmen scheint: des K. Kieser Verlags in München, Verleger der Zeitschrift „tanzdrama“. Der debütierte jetzt mit zwei Titeln: „Sigurd Leeder – Der Tänzer als Zeichner“, herausgegeben von Grete Müller, 276 Seiten, 121 Schwarzweiß- und vier Farbabbildungen, DM 44.- – und Helmut Ploebst „No wind no word – Neue Choreographie in der Gesellschaft des Spektakels – 9 Porträts“, 285 Seiten, zahlreiche Abbildungen, deutsch-englischer Text, DM 48.-.

Der Band über den Zeichner Sigurd Leeder (1902-1981) ist dem verdienstvollen Tänzer und Pädagogen und auch Choreographen gewidmet (und hier sei gleich positiv angemerkt, dass beide Bände an der schönen alten Choreographie-Schreibweise mit ph festhalten), der als Weggefährte von Kurt Jooss bekannt wurde, ihn nach Essen, Dartington und auf den Welttourneen der Ballets Jooss begleitete, sich dann selbstständig machte und in London eine eigene Schule gründete, die er lange Jahre leitete, um dann seine letzte Wirkungsstätte in Herisau in der Schweiz zu finden, wo er zusammen mit Grete Müller die Leeder School of Dance ins Leben rief.

Als Herausgeberin des Bandes würdigt Grete Müller erst einmal den Lebenslauf dieses verdienstvollen Künstlers, bevor dann das umfangreiche Konvolut seiner Zeichnungen, Aquarelle und Linolschnitte folgt, sämtlich in ganzseitigen Abbildungen, weit überwiegend männliche Aktstudien sowie einzelne Porträtköpfe. Sie bezeugen, mit welch außerordentlicher Sensibilität Leeder die Bewegungen des Tänzerkörpers auf das Papier zu bannen verstand, dass sie sich wie gefrorene Choreographien ausnehmen, in deren Ruhemomenten der Strom der Motionen unablässig weiterzufließen scheint. Der Hinweis auf ähnliche Tänzerzeichnungen von Cocteau und Matisse ist durchaus berechtigt.

Sehr großzügig aufgemacht gibt sich der deutsch-englische Band von Helmut Ploebst, mit zahlreichen Fotos, über Meg Stuart, Vera Montero, Xavier Le Roy, Benoît Lachambre, Raimund Hoghe, Emio Greco/PC, Joâo Fiadeiro, Boris Charmatz und Jérôme Bel – sämtlich Vertreter der sogenannten Neuen Choreographie, beziehungsweise der Performance-Art und Tanzperformance. Ploebst hat die betreffenden Persönlichkeiten gründlich befragt und hinterfragt, lässt sie auch ausführlich zu Wort (und Bild) kommen und beschreibt ihre Performances, von denen viele für mich jenseits der Grenzen liegen, an denen mein Verständnis dessen, was Tanz ist, aufhört – zumal da mir schon zahlreiche ihrer Termini ein Buch mit sieben Siegeln sind. Aber inzwischen dürfte ja auch dem letzten Leser des kj klar geworden sein, dass es sich bei diesem oe um einen Konservativen handelt (der sich allerdings nicht gern als Reaktionär geoutet sieht).

Es steckt ungeheuer viel Arbeit in diesem Buch (nicht zuletzt in der Übersetzung dieser Texte) – dafür meine uneingeschränkte Bewunderung. Begeistern kann ich mich nicht dafür, und ich kann nicht behaupten, dass ich alle diese Texte komplett gelesen hätte (allerdings doch so detailliert, um auf Seite 234 die falsch geschriebene „Eurhythmie“ zu entdecken) – geschweige denn hinterher zu resümieren, was denn nun eigentlich in diesen Texten steht. Mir persönlich wäre es dienlicher gewesen, wenn das umfangreiche Schlusskapitel „Choreographie in den Zeiten der Fata Morgana“ am Anfang gestanden hätte, denn es bietet einen hervorragend komprimierten Überblick über die historische Entwicklung dieser Art von Tanz und führt den Leser kenntnisreich ein in das Labyrinth dieser dissidenten Denkweisen.

Schleierhaft bleibt mir. warum Ploebst im Zusammenhang mit seiner Diskussion um die Non-Play-Bewegung der Situationisten um Guy Debord im Paris der fünfziger Jahre sich den Verweis auf Paul Taylors „Seven New Dances“ aus dem Jahr 1957 entgehen ließ, mit dem berühmt-berüchtigten „Duet“, in dem er vier Minuten und dreiunddreißig Sekunden lang unbewegt auf der Bühne verharrte (entsprechend dem so betitelten Stück von John Cage). Ein Buch also primär für diejenigen, die sich in den anemophilen (was immer das sein mag) Strukturen dieser Performance Art auskennen – für die allerdings dürfte es schon bald zu einem Kultobjekt avancieren.

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern