Die Sacharoff-Ausstellung

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Köln, 02/02/2003

Auch wenn man das fulminante Katalogbuch (siehe koeglerjournal vom 21.12.2002) gründlich studiert hat: die Ausstellung „Die Sacharoffs“ (die noch bis zum 23. Februar im Kölner Deutschen Tanzarchiv zu sehen ist – und anschließend vom 27. März bis zum 22. Juni in der Münchner Villa Stuck) verblüfft denn doch durch ihren weit über ihren nach der Lektüre vermuteten kultursoziologischen Radius. Es ist eben etwas Anderes beispielsweise über die Verehrung zu lesen, die Rilke dem Fräulein Clothilde von Derp entgegenbrachte und mit einem der handschriftlichen Briefe Rilkes an sie konfrontiert zu werden. Und wenn dann auch noch Frank Manuel Peter, der diese Ausstellung mit so sichtlicher Liebe initiiert und – wie das heute so schön heisst – kuratiert hat, persönlich durch die Ausstellung führt und zu fast jedem der Exponate eine persönliche Hintergrundgeschichte erzählt, kommt man aus dem Staunen nicht heraus.

Stupend auch, die fabelhaft kostbaren Kostüme zu sehen und die unerhört luxuriösen Stoffe mit ihren Applikationen, die nach Sacharoffs Entwürfen in den führenden Modeateliers der damaligen Zeit angefertigt worden sind (und sich in einem Tip-Top-Zustand befinden). Die Ausstellung ist eine wahre Fundgrube, und man wird sich bewusst, wie ungeheuer der Arbeitsaufwand gewesen sein muss, die Peter und seine Mitarbeiter in sie investiert haben – welche unermüdlichen Recherchen, welch endlose Überzeugungseloquenz bei den Leihgebern! Was mich aber vielleicht am meisten beeindruckt hat, ist das künstlerische Umfeld, das die Sacharoffs umgab. Gewiss, da war gleich am Anfang die Neue Münchner Künstlervereinigung von Wassilij Kandinsky, Gabriele Münter, Alexander Jawlensky, Marianne Werefkin und dem Komponisten Thomas Hartmann mit ihren Bemühungen um ein neues Gesamtkunstwerk – aber schon bald stießen nicht als Mitglieder, wohl aber als einflussreiche Mitstreiter Persönlichkeiten vom Rang eines Max Reinhardt, der Folkwang-Gründer Karl-Ernst Osthaus, der Architekt Peter Behrens, Max Lehrs, der Direktor des Dresdner Kupferstichkabinetts hinzu, der Karikaturist Olaf Gulbransson, der Tanzschriftsteller Hans Brandenburg und ...und ... und ... Sogar Diaghilew bekundete sein Interesse und veranlasste Dolin, sich eine Vorstellung der Sacharoffs in Paris anzusehen. So kann man die tollsten Entdeckungen machen – zum Beispiel die verblüffend lakonischen, aus einer Linie entwickelten Tanzskizzen von Philippe Petit.

Wie gesagt: eine augenöffnende und horizonterweiternde Ausstellung! Im Vergleich zu heute: welch eine engagierte Anteilnahme führender Kulturschaffender aus allen Gebieten: Schriftsteller, Maler, Zeichner, Architekten, Designer – und auch Journalisten (die einen vor Neid erblassen lassen, wenn man sieht, wie viel Raum ihnen in den Gazetten, Journalen und Magazinen zur Verfügung stand). Keine noch so berühmte Persönlichkeit des Tanzes heutzutage, kein Neumeier, kein Kylián, keine Bausch, keine Waltz und auch kein Forsythe kann es in dieser Hinsicht mit den Sacharoffs aufnehmen – und das in einem Zeitalter, das den Begriff der Medien noch nicht kannte! Die Zeiten haben sich doch gewaltig geändert. Der Substanzverlust an intellektueller Potenz ist unübersehbar!

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