Staatstheater Augsburg, "Moving"

"Moving" von Peter Chu. Tanz: Ensemble

Sinnhafte Leere des Pappkartons

Augsburg zerbröselt mit „Moving“ die Beziehung des Menschen zu sich selbst

Vom Humanen zum Digitalen: Peter Chus Choreografie „left behind (you) right“ bietet auf der Brechtbühne im Gaswerk ein Sammelsurium voneinander isolierter Gesten und Bilder.

Augsburg, 23/12/2021
Von einer „experience“ sprachen Ricardo Fernando, Ballettdirektor des Staatstheaters Augsburg, und die Dramaturgin Verat Gertz in der Einführung zum neuen Ballettabend, für den zum wiederholten Mal der amerikanische Choreograf Peter Chu die Fäden in der Hand hatte. Wobei das vielleicht eher als Knäuel bezeichnet werden sollte. Allein schon der Rahmen verwirrt: Da heißt der Abend „Moving“, die Choreografie selbst aber „left behind (you) right“. „Dispositorische Gründe“, heißt es da. Das Programmheft selbst führt dann noch mal ganze 14 Stücktitel auf, für eine gerade mal einstündige Arbeit. Da hat sich jemand also viel vorgenommen. Um „connections“ soll es gehen, inklusive „a lot of layers“.

Das beginnt auch alles gar nicht so übel. Verwirrend zwar, aber nicht unoriginell. Während das Publikum seine Plätze einnimmt, hört man eine männliche Stimme aus den Lautsprechern, begleitet von weiteren. Da scheint jemand hinter der Bühne unbeabsichtigt ein Mikro offen gelassen zu haben. Andererseits hieß es in der Einführung, dass man auch akustisch die Arbeitsprozesse der Tänzerinnen und Tänzer wird wahrnehmen können. Da wurde nicht zu viel versprochen. Und siehe da, es ist ein Tänzer, zu dem die Stimme gehört. Er positioniert laut nachdenkend einen mobilen Scheinwerfer am Rand der Bühne. Bisschen Illusionsbrechung, kein schlechter Einstieg.

Knisternde Echo-Soundscapes begleiten die Äußerungen einer Tänzerin, wie sehr sie doch ihre roten langen Haare lieben würde. Die Bühne im Gaswerk ist dabei offen, illusionsfrei, die schlichten einfarbigen Kostüme von Marie Wildmann sind zurückhaltend in gedeckten, monochromen Farben mit entspanntem Genderbending beschäftigt. Viel raumgreifende Körperarbeit macht den Auftakt, mehr am Rand zur Performance als dass man von Tanz sprechen würde. Getanzt wird dann hier aber doch. Das ist bei Peter Chu nichts Neues. Er ist dafür bekannt, viele verschiedene Einflüsse in sein Bewegungsvokabular einfließen zu lassen. Da ist die Rede von Akrobatik, der klassische Schulterstand aus dem Breaking lässt sich entdecken, einige Anleihen aus dem Yoga. Die setzt er in einzelne Bilder, Momente, Augenblicke. Fragmentarisch reiht sich eine Szene an die nächste, ohne Verbindungen zu schaffen. Dabei ist offensichtlich, dass die Tänzerinnen und Tänzer damit nicht nur in ihrer körperlichen Präsenz gezeigt werden sollen. An ihrer Leistung lässt sich auch gar nicht herumkritteln. Wahrnehmbar sein sollen sie aber eben auch als Individuen, nicht als stumm Ausführende.

Für das Publikum im Stream werden fast ausschließlich statische Kameraeinstellungen eingesetzt, viele Schnitte schaffen Perspektivwechsel, die mehr ein komplettes Bild des Raumes ermöglichen wollen als dass dieses Mittel auch dramaturgischen Einsatz finden würde. Dieser Ansatz geht einher mit der inhaltlichen Aussage: Alles bleibt vage. Da gibt es simultan hörbare Sprechtexte in Deutsch und Englisch. Da wird eine Tänzerin von zwei Partnern auf die Bühne geschleppt, bekommt einen lavendelfarbenen Iro verpasst und darf am Mikrofon die Anleitende für eine unbestimmte Art von Gruppenaktivität geben. „Breathe in, breathe out“, rät sie. Und alle sollen mitmachen. „Don’t be boring!“, heißt es da. Postdramatische Beliebigkeit? Was das will, bleibt zumindest offen.

Immer wieder kommt es zu starken Brüchen in Musik, Licht, Projektion und Atmosphäre. Die Kostüme zeigen irgendwann ein gesättigtes Rot. Und eine immense Ansammlung leerer Pappkartons steht mal dekorativ im Hintergrund herum, mal werden sie umhergetragen. Da wird so einiges ausprobiert, aber nichts führt irgendwohin. Auch die hübsche Entfremdung durch eine identische, also auswechselbare, puppenhafte Tänzerinnenriege lässt sich höchstens als Reverenz an Forsythes „Bongo Bongo Nageela“ aus „Impressing the Czar“ lesen. Eine eigenständige Aussage bringt das aber nicht mit.

Damit findet sich, so darf man durchaus meinen, ein Widerspruch zu den Versprechen aus der Einführung, wenn Gertz und Fernando betonen, es ginge hier nicht um bloße Effekte, wie sonst so gern und oft im Tanz. Über sich selbst weist hier offensichtlich nichts hinaus. Dieses Knäuel an Ideen ließe sich mit Mühe halbwegs entwirren, wenn man den Verlauf des Abends als schrittweise Entwicklung von Vertrautem, Menschlichem hin zu Fremdem, Wirrem und Entfremdetem liest. Ohne dem kann sich das Publikum hier beliebig rauspicken, was einem gerade so passt. Nur mitnehmen wird man davon nicht viel.

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