„b.36-Schwanensee“ von Martin Schläpfer

„Schwanensee“ ohne See der Tränen

Martin Schläpfers Choreografie an der Deutschen Oper am Rhein

Als Uraufführung bezeichnet Martin Schläpfer seine erste Choreografie eines abendfüllenden klassischen Handlungsballetts. Und zum ersten Mal erklingt Peter I. Tschaikowskys originale Partitur zum ursprünglichen Libretto.

Düsseldorf, 10/06/2018

Das 36. Ballettprogramm „b.36“ der Ära Martin Schläpfer in der neunten Spielzeit an der Deutschen Oper am Rhein wartet mit einer Uraufführung eigener Art auf. Zu Schläpfers „Schwanensee“-Choreografie nach dem ursprünglichen Libretto ist zum ersten Mal die originale Partitur Peter I. Tschaikowskys zu hören. Die Düsseldorfer Symphoniker kosten unter der Leitung von Generalmusikdirektor Axel Kober und mit ganz vorzüglichen Solist*innen an Geige, Cello, Oboe und Harfe alle Feinheiten von Klangfarben und Melodienreichtum aus, die der theatralischste aller romantischen Komponisten in dieses Märchensujet legte. Nur wenige Musiknummern sind neu, vor allem aber sind die Nationaltänze als handlungs-irrelevante Einlagen im 4. Akt weitgehend gestrichen oder optisch verfremdet in den ersten Akt verlegt.

Während Schläpfer behauptet, sich auf einige wenige Akteure zu fokussieren und sie als heutige Charaktere zu zeichnen, wirkt die Handlung verwirrend und überladen. Da ist Odettes Stiefmutter – eine Zauberin, der Rotbart und eine Schar düsterer Schwanenbewacher zu dienen haben –, eine unheilbringende schwarze Gestalt. Odettes Großvater steht als schweigend Schützender zwischen den Schwänen. Meist aber sind das handfeste Frauen in einfachen Kleidern mit derben Bewegungen der bloßen Füße oder in Roben, deren Röcke mit schweren Federkränzen besetzt sind.

Auf der düsteren Bühne hängen im ersten Akt leere Bilderrahmen gestaffelt. Später leuchten zwei himmelblau-wolkige Kuben im Raum. Ein grauer Felsbrocken ersetzt Rotbarts Kapellenruine. Silbern glitzern Säulen zum Fest (Ausstattung: Florian Etti). Selbstredend bleibt von den beiden „weißen Akten“ bei Schläpfer wenig übrig. Vor allem geht bei dem gewollten Realismus das geheimnisvoll Märchenhafte der Waldlandschaft mit dem (hier nicht existenten) See aus den Tränen von Odettes Großvater verloren, da mag die Musik noch so lange Generalpausen einlegen.

Immerhin: mit Marcos Menha steht ein gleichermaßen technisch überragender Tänzer wie auch außergewöhnlich ausdrucksstarker und melancholischer Prinz Siegfried auf der Bühne; mit Marlúcia do Amaral eine hinreißend leidenschaftliche, verzweifelt hoffnungsvolle, kindlich verliebte Odette. Misslungen ist nach dem packenden großen Pas de deux des 4. Akts das (immer schwierige) Ende. Da flüchtet Menha mit Riesenschritten, den schlaffen Körper der toten Odette auf Händen tragend, von der leeren Bühne in die Kulissen, während das Orchester die unvergleichlichen Wellen des Sees musikalisch malt. Das ist das krasseste Beispiel mancher unverzeihlicher Missachtung der theatralischen Musik.

Camille Andriot gibt die eiskalte, katzenhaft sprunghafte Odile – ganz das Ebenbild ihrer Mutter, der Zauberin, für die die wunderbare Young Soon Hue auf die Bühne zurückkehrt. Sonny Locsin (Rotbart) profiliert sich vor allem als diabolischer Begleiter von Odile zur Brautschau. Alexandre Simões tanzt Benno kraftvoll und frisch. Virginia Segarra Vidal – alternierend mit Monique Janotta, der einstigen Rheinopern-Primaballerina – gibt Siegfrieds Mutter, umsorgt von Zeremonienmeister Chidozie Nzerem. Das Paar wirkt, wie auch die drei potentiellen Bräute, so aristokratisch wie Schläpfer gerade nicht sein wollte. Von einer fernen Keltengesellschaft spricht er. Das legt nahe, wieso seine Bewegungssprache hier immer wieder so deutlich Mats Ek zitiert. Das Koboldhafte passt natürlich vorzüglich für die Bauernburschen und -mädels und sorgt vor allem für Furore in der Nummer der kleinen Schwäne, die sechs Männer, hoch in die Luft springend, bukolisch ungestüm geben.

Dass Schläpfer die High Society auf Spitze tanzen lässt, die anderen in Schläppchen und die Schwanenfrauen teilweise sogar barfuß ist bei dieser Choreografie bei Weitem nicht so logisch wie seinerzeit bei Giorgio Madias. Der ließ die weißen Akte auch wirklich in der klassischen Art barfuß tanzen, wie Marius Petipa und Lew Iwanow sie einst schufen. Während bei Schläpfer eine nennenswert große Gruppe der Schwanenfrauen nur gegen Ende des Balletts tanzt – nur leider völlig ohne Charme. Schläpfer wollte vielleicht einfach zu viel – choreografisch wie erzählerisch.

 

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