Abstrakter Tanz mit konkreter Aussage

Rubato zeigt in „Act“ Weg und Leid auch politischen Handelns

Rubato ist leise und sensibel wie eh, dennoch eindringlich, mahnend und am Puls der Zeit, findet Volkmar Draeger.

Berlin, 22/10/2013

Leer und nüchtern ist der Raum, den Jutta Hell diesmal für die neue Produktion die Tanzkompanie Rubato eingerichtet hat. Zu beiden Seiten flankieren glänzende Metallgeländer die Szene im EDEN*****, hinten begrenzt eine Sperrholzwand die Spielfläche. Einzeln betreten die Akteure Dieter Baumann, Carlos Osatinsky und Fernando Nicolás Pelliccioli jene Welt, und doch sind sie nicht frei. Denn Marschtritt bindet sie unverzüglich in eins, als seien sie Teil einer militärischen Maschinerie. Jeder zieht indes planetenhaft seine Bahn, ihre Wege kreuzen, verschlingen sich, jeder weicht jedem aus, obwohl irgendetwas sie aneinander bindet. Als sie sich beim Gehen an den Händen fassen, scheint sich ein gemeinsames Wollen zu artikulieren. Mehr noch an der Wand als dem vorläufigen Endpunkt: Aus Stampfern auf den Boden und Schlägen an das Holz entwickelt sich rasch ein klammernder Rhythmus. Er klingt wie bei den berühmten japanischen Trommel-Virtuosen.

Doch nicht um ein bloß abstraktes Einswerden geht es der Gruppe in „Act“, sondern vielmehr um das, was die Menschen in Einheit erreichen können. An die Macht der Straße denkt Rubato dabei, die etliche Diktatoren weggefegt und vielen der aufständischen Regionen trotzdem noch immer nicht Frieden gebracht hat. Der Körper als politischer Motor, mindestens als Motor politischer Veränderungen. Sieghaft reißen die drei Männer ihre Arme hoch, trippeln so an die Rampe. Doch schon bald gebiert die Einheit des Feierns Rivalität: Man behindert einander, tritt in einen Wettkampf, den jeder für sich zu entscheiden glaubt. Nur nicht schlapp werden, ertüchtigt bleiben.

Sparsame Einblendungen von Straßengeräuschen aus weiter Ferne legt DaBao, ein chinesischer Klangkünstler, über das Geschehen, streut nur selten Gongs ein. Wenn die Akteure vorwärtseilen, eine Hand auf der Schulter des Vorderen, wechselt wie in realen Marschkolonnen der Frontmann. Doch wer siegen will, kann auch stürzen. Weiter geht es aus der Bodenlage, bei Gefahr an die Holzwand als Refugium oder auch Grenzbereich, dort mit beinah provokant gedämpftem Fußklopfen gegen das Holz. Nicht jedes Mal recken sich die Hände stolz und stark nach oben; manchmal ähneln sie eher jener laschen Chiffre für Kapitulation. Und wenn die Kämpfer ihre T-Shirts vor einem unsichtbaren Gegner hochreißen, mag das für ihre todesmutigen Überzeugungen, ihren festen Willen stehen. Beinah das ganze einstündige Stück über hält die Männer der Militärrhythmus eng verbunden, treibt sie an, trägt sie. Das erzeugt ein imposantes Gemeinschaftsgefühl, dem sich auch der Zuschauer kaum entziehen kann.

Beeindruckend aktiv und agil hetzen die Helden auf ihrem Weg voran, sanfte Machos auch, bis zur völligen Erschöpfung, die sie zu Boden sinken lässt. Da untermischen sich dem Triumph ängstliche Töne. Niedergedrückt in die Hocke, den Kopf gebeugt, zeigen die Hände verzweiflungsvoll gen Himmel, ehe die müden Körper zu schlottern anfangen. Ob es Querelen untereinander gibt oder ob Schergen zupacken: Einer der Männer wird von den beiden anderen hin und her gezerrt, dann krachend gegen die Wand geschleudert. Die Siegerpose bleibt ihm hier in den Armen stecken. Letzter Akt in „Act“ ist Aufbäumen aus der Bodenlage, selbst dabei kommt es zum leise dribbelnden Gleichklang einer Gemeinsamkeit.

Wie von einem Startblock aus beginnt der Lauf vorwärts, mit Stampfen und Händeklatschen wie beim Flamenco. So enden die drei dicht vor dem Saalpublikum, als wollten sie es begeistern und mitreißen, bis Dunkel sie den weiteren Blicken enthebt. - Dicht gewirkt hat Choreografin Jutta Hell ihren Kampfmarathon, bleibt konsequent beim selbstgewählten Thema und fordert ihre Akteure physisch stark. Häufig, vielleicht etwas zu häufig bewegen sie sich rennend auf Kreisbahn, unterbrochen von Sprungfolgen auf der Diagonalen, die für das kämpfende und abwehrende Vorwärts dieser Gegenwarts-Gladiatoren stehen mögen. Dass alles Tun nirgendwo zu konkret wird und damit vielfältigen Assoziationen Raum bietet, ist einer der zusätzlichen Vorzüge. Rubato, leis und sensibel wie eh, dennoch eindringlich, mahnend und am Puls der Zeit.
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