Wenig Tanz? Leider.
Ein Kommentar zur Auswahl der Choreografic Platform Austria 2025
Hannah Ehgartner und Johanna Scharf
Zarte Textilien in rosa- und lilafarbenen Tönen füllen die Bühne und vereinen sich im Lichtertanz mit den kreisenden Bewegungen der Performerin – bis alles ineinander verschwimmt und eine Geschichte erzählt. Dann gibt es kleine grüne Kuverts, die verteilt werden, nach Partizipation rufen, und Migrationsfragen verflechten sich mit energetischen Sprüngen und puppenhaften Körperbewegungen, die an hin- und hergerissene Marionetten erinnern. Ein Spiegel der Emotionen liegt in der schwerelosen Darstellung von Resilienz, kraftvoll drückt die Tänzerin imaginäre Wände von sich, und man spürt den rhythmischen Puls bis tief in die Brust. Stimmen dringen hinter die Kulissen, wenn ein Kletterturm zum Ort des Entspannens wird und eine ehemalige Ballerina eine Zeitreise in die Wiener Staatsoper macht.
Ob Claire Lefèvres „LOIE (is a fire that cannot be extinguished)“, „Parsley for garnish“ von Sasha Portyannikova, Rosana Ribeiros „Echoes of Resistance“ oder Doris Uhlich mit „Melancholic Ground“ und „Come back again“ – alle zeigen eine Vielfalt an Performance-Kunst und Herangehensweisen, die man sich bei einem Tanzfestival zu Beginn vielleicht nicht vorstellen kann.
Der Saal der Arge Salzburg füllt sich, und man erhascht einen Blick auf die blumenartigen Textilien, bevor es dunkel wird. Claire Lefèvre betritt die Bühne, es ist still, und plötzlich wird man auf das Rascheln der Wintermäntel gegen die Stühle, ein leises Husten oder das Knurren des eigenen Magens aufmerksam. Lefèvre runde, fließende Bewegungen werden zu ganzen Körperdrehungen, ihre Schuhe quietschen über den Tanzboden, und ihre Augen wandern über das gespannte Publikum. Heller Frauengesang durchbricht die aufgeladene Atmosphäre. Nur ein Augenblick, dann ist es wieder still. Noch einmal.
Tanzgeschichte hinterfragen
Lefèvre wechselt während dieser Sequenzen zu spannungsgeladenen Bewegungen, die Stimme verwandelt sie für kurze Momente in eine Ballerina. Als würde sie sich erinnern, als würden diese Bewegungsqualitäten nach ihr rufen. Doch sie entscheidet sich dafür, Tanzgeschichte zu hinterfragen, sie anders zu erzählen, und sie beginnt mit der Geschichte von Loïe Fuller – der Queerness-Thematik, die bis dato verschwiegen wird. Es ist eine Liebesgeschichte zwischen ihr und Fuller, die auf einer Faszination, einer idealisierten Vorstellung der Tänzerin basiert, an der sie sich langsam abarbeitet und ihr Leben hinsichtlich Serpentinentanz, Queerness und red flags wie Kolonialismus beleuchtet.
Wie Lefèvre sich diese leuchtenden Stoffe vorstellt, zeigt sie anhand einer Animation mit den Textilien: Nebel bildet sich auf der Bühne, Blüten öffnen und schließen sich, erinnern an Muscheln und Weiblichkeit. Aus lodernden Flammen schwimmen Koifische über die Stoffe, und silberblaue Wellen tragen die hauchigen Stimmen davon, wie der Wind die Erinnerungen weiterträgt. Lefèvre spricht von Fuller als „good quiet lesbian“. Sie wurde durch ihren künstlerischen, modernen und technologischen Ansatz respektiert, und ihre „Weißheit“ öffnete ihr viele Türen. Lefèvre spricht darüber, wie die Arbeit über Fuller sie und ihren eigenen Körper beeinflusst, wie diese Beziehung ein „Schmetterling geformtes“ Loch in ihr Gehirn gebrannt hat. Das Hinterfragen kanonisierter Tanzgeschichte hat sich mit dem Versuch, das Feuer von Fuller am Brennen zu halten, verwoben und stellt die Komplexität, die Verbindung von Licht und Dunkel dar. Ein Durchschreiten durch den queer-femininen Nebel, ein Beleuchten nicht besprochener Aspekte.
Und ein anderer grauer Nebel zieht auf, der immer dichter wird und bald seinen Schleier über den ganzen düsteren Saal des Toihaus Theaters ausbreitet. Mitten in diesem Nichts, mit dem „Echoes of Resistance“ von Rosana Ribeiro beginnt, zeichnet sich die dunkle Silhouette einer Tänzerin ab. Langsam taucht sie aus diesem Nebel auf, vom goldenen Licht der Scheinwerfer umspielt, während bedrohlich wirkende Musik den Raum erfüllt. Die Spannung knistert – bis sie bricht. Ein plötzliches Fallen. Nur in allerletzter Sekunde kann sich Jin Lee abfangen, als würde sie gerade so ihren Kopf über Wasser halten. Mit Beinen, Rumpf und Armen in die Luft gestreckt, scheint sie am Boden zu schweben. Das Bild erinnert etwas an einen Käfer, der gefallen ist und versucht, sich aufzurappeln, um wieder fliegen zu können. Mit viel Ausdauer und Kraft kommt sie schließlich wieder auf die Beine.
Überwundene Hürden
Die Musik baut sich von Takt zu Takt immer weiter auf und spiegelt sich in der Mimik der Tänzerin. Wie schwerelos gleitet sie über die Bühne – doch immer wieder kehrt das Fallen zurück, wie ein Sog, der sie in die Tiefen ihrer Emotionen hinabzieht. Aber nie liegt sie lange oder ergeben auf dem Boden, sondern richtet sich nach jedem Fallen wieder auf. Die Bühne scheint voller unsichtbarer Hindernisse und Widerstände zu sein, die sie – einen nach dem anderen – von sich wegdrückt. Nicht aber auf eine aggressive Art und Weise, sondern kraftvoll und bestimmt. Die damit verbundene Anstrengung, ihr lautes Atmen und Aufstöhnen dringt bis in die letzten Reihen und trifft das Publikum spürbar.
Dann ein pochender Herzschlag – eine Zeit lang scheint er sie herauszufordern, doch sie atmet ein und wird ihm ebenbürtig. Sie passt sich seinem Rhythmus an, bis beide im gleichen Puls schlagen und miteinander tanzen. Und dann wieder – das Fallen. Diesmal bleibt sie lange liegen, als hätte die Schwerkraft sie besiegt. Um sie herum klingen roboterartige, metallische Geräusche. Helle Töne durchbrechen die Finsternis, schenken einen Funken Zuversicht und langsam, wie in Zeitlupe, kehrt ihre Kraft zurück.
Ihr Körper schwebt sanft auf dem Boden, wieder in der gleichen Position wie zu Beginn. Leise tönt Elton Johns Stimme aus den Lautsprechern: „I’m Still Standing“. Der Song wird immer lauter, füllt den Raum – und endlich richtet sie sich auf. Bevor sie die Bühne verlässt, wirft sie dem Publikum ein triumphierendes Lächeln zu. Ein Lächeln, das von überwundenen Hürden und innerer Stärke erzählt. Resilienz. Die Fähigkeit eines Menschen Belastungen auszuhalten und eine lebensmutige Haltung beizubehalten, egal, was kommt. Schon allein der Titel „Echoes of Resistance“ suggeriert diese Widerstandsfähigkeit. Jeder Mensch muss früher oder später in seinem Leben Schmerz und Leid erfahren oder Schicksalsschläge ertragen. All das wird durch das wiederholte Fallen verkörpert. Doch ebenso ist jeder Mensch fähig, nach jedem Fallen auch wieder aufzustehen. Eine Performance, die Mut macht.
Unterschiedlicher könnten Performances wohl nicht sein, und doch erzählen sie beide Tanzgeschichten. Durch verschiedene Medien, wie Stoffe, Sprache, Bewegung und Musik oder allein durch die Sprache des Tanzes und das Übermitteln von Emotionen über Mimik und Gestik.
Dieser Text entstand im Rahmen einer Kooperation von tanznetz mit Studierenden der Paris Lodron Universität in Salzburg unter der Leitung von Dr. Miriam Althammer und der Choreographic Platform Austria.
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