„Goldberg“ von Goyo Montero, Tanz: Edwar Nunes und Nicolás Alcázar Sánchez Jesus Vallinas

„Goldberg“ von Goyo Montero, Tanz: Ensemble Staatsballett Hannover

Spiegelungen und Traumtänze

Goyo Monteros fulminanter Einstand mit „Goldberg“ beim Staatsballett Hannover

Das schon in Nürnberg erfolgreiche Stück zu Musik von Bach und Owen Belton bekommt durch das neue Ensemble noch einmal ein ganz anderes, spannendes Gesicht.

Hannover, 18/11/2025

Es war ein fulminanter Start, den der neue Chef des Staatsballetts Hannover hingelegt hat: Goyo Monteros „Goldberg“ avancierte aus dem Stand zum Publikumsrenner – sämtliche Vorstellungen in diesem Jahr sind ausverkauft. Montero hatte sich bewusst für dieses Stück entschieden, das 2022 während seiner Ballettdirektion in Nürnberg aus der Taufe gehoben wurde. Denn kaum ein Werk eignet sich so gut, die Qualitäten einer Kompanie und vor allem ihrer einzelnen Mitglieder so herauszuarbeiten wie dieses. Montero spielt dabei mit dem, was ihm von seinen Tänzerinnen und Tänzern entgegenkommt: mit ihrem Können, ihrer Virtuosität, ihren Eigenheiten, ihrer Geschichte, ihrem ganz individuellen Profil. 

„Goldberg“, das sei „eine Liebeserklärung an den Tanz und an die Menschen, die ihn verkörpern“, schreibt er im Programmheft. „Wir stehen an einem Anfang, es ist ein Moment des Aufbruchs, in dem ich die große Kraft einer vielfältigen Gemeinschaft spüre, die etwas Eigenes schaffen möchte.“ Und so kann das Hannoveraner Publikum auf eine sehr tiefgründige Art Bekanntschaft schließen mit den neuen Gesichtern im Ensemble und mit seinem neuen Ballettdirektor, der die nicht gerade leichte Nachfolge von Marco Goecke angetreten hat und den man in Nürnberg nach 17 erfolgreichen Jahren nur ungern ziehen ließ. 

Zwischen Tag und Traum 

Die Musik ist eine Reminiszenz an die titelgebende Komposition von Johann Sebastian Bach, der auch für Montero die Quelle aller Musik ist, und auf die er vor Jahren als Erster Solotänzer an der Deutschen Oper Berlin in Heinz Spoerlis Version der Goldberg-Variationen selbst getanzt hat. In seiner eigenen 75 Minuten dauernden Version werden insgesamt acht der 30 Variationen von Patrik Hévr im Original live am Klavier gespielt, 26 weitere hat Montero von Owen Belton elektronisch für ein Kammermusikensemble des Niedersächsischen Staatsorchesters Hannover unter Masaru Kumakura aufbereiten lassen. Dabei sind Bachs Motive immer wieder erkennbar, aber nie dominant. 

Goyo Montero lotet mit dieser Zusammenstellung der Musik und ebenso im Tanz die vielschichtigen Dimensionen zwischen Wachen und Schlafen aus, zwischen Sein und Nichtsein, Diesseits und Jenseits, Licht und Schatten, Innehalten und Bewegung, Alleinsein und Begegnung, Aggression und Verletzlichkeit, Mut und Angst. Mehrere Jahre lang hatte er sich – die Idee für das Stück wurde während des erzwungenen Rückzugs in der Corona-Zeit geboren – nicht nur ideell, sondern ganz handfest mit neurowissenschaftlichen Erkenntnissen über die Traumphasen auseinandergesetzt, und man merkt der Choreografie diese tiefgründige Beschäftigung an. Nirgendwo erscheint sie dahingehuscht, alles ist sorgsam ausziseliert und wohlüberlegt gestellt. 

Immer wieder finden sich die grandios agierenden 27 Tänzer*innen zu neuen Formationen zusammen, geben Bewegungsmuster weiter oder auch nicht, alle zugleich oder auch alleine, zu zweit, zu dritt oder zu mehreren – menschliche Spiegelungen, eine zwingende Präsenz in unterschiedlichsten Schattierungen. 

Und das alles auf einer genial einfach gestalteten und deshalb so wirkungsvollen und wandelbaren Bühne. Curt Allen Wilmer und Leticia Ganan Calvo haben sie rundum mit raumhohen, handbreiten durchsichtigen Plastikstreifen abgehängt, manövriert von Metallschienen, die frei im Raum beweglich sind. So entstehen immer wieder neue Räume; sie können sich weiten oder verengen, durchlässig werden oder begrenzen, wobei die raffinierte Lichtregie von Martin Gebhardt ständig für neue Effekte und Eindrücke sorgt. 

Kongeniale Kostüme 

Die Kostüme von Salvador Mateu Andujar erscheinen nur oberflächlich gesehen einfach: schwarz-weiß-grau schattierte Hemden oder Oberteile mit schmalen Hosen zu Beginn. Die verwischten Strukturen auf dem Stoff sind durch ein spezielles Verfahren der Überbelichtung entstanden, die Grundlage dafür sind Portraits der jeweiligen Tänzer*innen, die auf diese Weise das Äußere nach innen tragen und umgekehrt – eine weitere Spiegelung. 

Nach ca. 45 Minuten werden diese Kostüme gegen hauteng sitzende Bodysuits in schillerndem Dunkelgrau getauscht. Auch dahinter steckt Methode: ein metallisch glänzender Stoff wurde in unregelmäßigen Mustern zwischen zwei Tüllschichten verwebt. Dadurch oszilliert der ganze Körper und man ist ständig darauf gefasst, dass er anfängt zu zerfließen, sich auflöst zwischen Traum und Wirklichkeit, transzendiert in eine nicht fassbare Zwischenwelt. 

Neben der ungemein kraftvollen, aber stellenweise auch zärtlich-sanften Choreografie und der fesselnden Dynamik der brillanten Tänzer*innen sind es solche Details, die „Goldberg“ so faszinierend machen. Gebannt folgt man dem Bühnengeschehen und beginnt ganz von alleine, im Rhythmus der Tanzenden zu atmen und zu schwingen. Bis sich zum Schluss alle Tänzer*innen im Halbrund an den Bühnenrand setzen und zu summen und zu tönen beginnen. Die Stimmen verbinden sich mit der Musik zu einem magischen Klanggebilde, während sich die Metallschienen mit den Plastikstreifen ganz langsam absenken, bis sich ein schützender Raum bildet, der die Menschengruppe behütet. 

Und so ist „Goldberg“ nicht nur eine Liebeserklärung an den Tanz, sondern vor allem an den Menschen, das Menschsein, die Gemeinschaft, die Individualität, die Vielfalt, an das Leben und letztlich auch an die Liebe selbst. 

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