Amors Plastikpfeile

Dave St-Pierre beendet seine Trilogie mit „New Creation“ auf dem Salzburger Sommerszene-Festival

Salzburg, 12/07/2012

Seit über sieben Jahren ist der kanadische Choroegraf nun schon zu Gast in Salzburg. Er startete 2004 seine Trilogie mit „bare naked souls“ und führte sie vier Jahre später mit „A Little Tenderness for Crying Out Loud” fort. Nun schließt sie Dave St-Pierre beim Salzburger Sommerszene-Festival 2012 schlicht und einfach mit „New Creation“ ab. Basta! Diese Art von Untertreibung kann sich der Kanadier leisten.


Provokant, radikal, direkt − das sind die Adjektive, mit denen sich St-Pierres Werke einkleiden lassen. Als „enfant terrible“ des zeitgenössischen Tanzes verschrien, sorgt der kanadische Künstler für gefüllte Zuschauerreihen. Und tatsächlich: Mit „New Creation“ legt St-Pierre mit einfachen Theatermitteln menschliche Verhaltensweisen offen. Zeigt eine degenerierte, moderne Gesellschaft, deren Machtbesessenheit und Unfähigkeit. Und den Leuten gefällt´s! Tosender Applaus und standing ovations erhalten die ausgepowerten Ausnahme-Tänzer nach anstrengenden, fesselnden 100 Minuten Extremperformance.

Dabei ist das Thema, um das sich „New Creation“ spannt, nicht sonderlich innovativ: Es geht um Liebe. Doch die Art und Weise, in der es St-Pierre auf die Bühne bringt, in einem Wechsel aus Duett- und Ensembleszenen, aus Brutalität und Kitsch, aus schmerzhafter Seriosität und Slapstick, und all das ohne an Spannung zu verlieren − das zeichnet ein gutes Händchen für Theatralität aus.

Die Vorstellung beginnt, der hintere Vorhang öffnet sich und gibt den Blick auf geknebelte und gefesselte Engel − alle nackt und nur mit weißen Engelsfügeln garniert, frei. Aus dieser grotesken Szenerie stürzen die Amoretten, mit lautem Geschrei auf einen Haufen aus Stühlen, Handtüchern, Klamotten, Eimern, Plastikpfeilen und -bögen. Pure, lautgekreischte Hysterie. Man klopft sich, rumpelt und schreit sich an. Wem gehört was?! Wer räumt das weg?! Engel sind keine besseren Menschen. Zur romantisch-kitschigen Musik werden „Er“ und „Sie“ − das Vorzeige-Paar der Inszenierung − in Abendrobe eingekleidet, um dann anschließend mit Plastikpfeilen beschossen zu werden. Das absurde Spiel gipfelt in einem ironischen Show-Tableau mit wedelnden Engelsfedern.

Anschließend werden Bühnentische am vorderen Bühnenrand vor den Augen der Zuschauer positioniert. Mit den Worten „This is how you fall in love“ schnellt ein splitternackter Engel in die Höhe, um mit seinem Körper auf den Boden zu knallen. Ein hässlich-schmerzhaftes Klatschen! Männliche wie weibliche Engel legen ein Crescendo des allzu wörtlich genommen „Fall in Love“ auf den Tischen hin, so dass der Anblick schier schmerzt. Nicht minder akrobatisch wirkt die nächste intime Szene des Päarchens. In kraftvollen Sprüngen, Stützhebungen und Drehungen zeigt sich menschliches Vertrauen von seiner schönen Seite. Die zierliche Tänzerin Karina Champoux springt rücklings, wird von ihrem Partner Éric Robidoux sicher aufgefangen. Die nächste Gruppensequenz lotet die Grenzen der Erträglichkeit empfindsam aus. Zur lauten, sirenenartigen Geräuschkulisse springt das Ensemble, mit schwarzen Knieschützern und Hotpants bekleidet, über eine quer über die Bühne verlaufende Tischreihe als handle es sich dabei um ein Trampolin. Zum riffigen Herzkasper-Beat bricht in wilder Wrestling-Manier eine Challenge unter den Tänzern aus. In diesem Höllen-Inferno sind Männlein und Weiblein nicht mehr zu unterscheiden. Alle mutieren zu Muskel-Monstern, die sich gegenseitig zugrölen und anfeuern.

Wer jetzt an Erholung denkt, liegt bei Dave St-Pierre daneben. Ein nackter Adam tritt mit einem Strauß Rosen auf: „These are the last flowers of all the supermarkets...”. Hingebungsvoll und vehement ruft er seine Angebetete an, bekräftigt seine Liebe, so dass er auf dem roten rotfarbenen Gleitmittel immer wieder ausrutscht und – genau! − auf den Boden knallt. Und zwar derart lange, bis die Rosen bis zur Unkenntnis zerfleddert sind.

Geschunden und verzweifelt kriecht Romeo ins Off, während sein weibliches Pendant in die Bühnenmitte kehrt. Die „holy flowers“, das Symbol ihrer Liebe, klagt sie an, während an den umgestürzten Tischen die nackten Leiber der Tänzer an den Tischbeinen wie tote Mahnmale aufgespießt hängen. St-Pierre bricht das dramatische Bilderpathos mit einem ironischen Einfall: Über die „heiligen Rosen“ fährt ein nackter Engel mit einer Bodenreingungsmaschine − Liebesträume sind eben nur Liebes-Schäume! Ein Treffen der Selbsthilfegruppe für demotivierte und degenerierte Amoretten kippt in einer Art Sex-Nachilfe-Unterricht um, bei der man einen männlichen Zuschauer auf die Bühne holt und an ihm und einer Plastik-Puppe („that was found in god´s office“) die Regeln der geschmacklosen Verführung zelebriert.

Noch einmal tritt das Vorzeige-Liebes-Paar auf. Diesmal nun, um sein Scheitern zu präsentieren. Ihre Liebesakrobatik ist durch ihre rotklebrigen Leiber schwierig und schmierig geworden. Ein gegenseitiges Halten ist schier unmöglich; man rutscht an seiner Liebe ab, sie ist nicht mehr haltbar. Der einzige Ausweg liegt für Dave St-Pierre nur in der Vereinigung in einer Umgebung aus menschlichem Erbrochenem, mit dem das Paar, welches auf einer aus Tischen zusammengestellten Tribüne ausgestellt ist, beschüttet wird.

Aus zugegebenermaßen platter Tiefe gelingt es der Kompanie, sich am eigenen Schopf wieder hoch zu ziehen. Die Schlussszene, in Abendgarderobe und zum Fitzgerald-Klassiker „Everytime we say goodbye“ − ein Pina Bausch-Zitat − behandelt den Abschiedsschmerz. Dem Publikum bleibt eben nichts erspart. Ergriffen von dieser rührselig-plakativen, gefühlsgeschwängerten Atmosphäre, antwortet man dem winkenden Ensemble bereitwillig, hält flammende Feuerzeuge in die Höhe, und ist einfach nur glücklich, dass Dave St-Pierre und seiner Gruppe der Katharsis-Rausch (wieder einmal) gelungen ist.

 

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