Die Tänzerin Henrietta Horn im Dialog mit dem Musiker Jens Thomas

„Freigang“ - Crescendo mit spartenübergreifender Wut und Wucht

Essen, 14/05/2007

Der Titel klingt aktuell, politisch und ungewöhnlich prosaisch für das Tanztheater von Henrietta Horn. Glücklicherweise zielt „Freigang“, die neue Choreografie für das „Folkwang Tanzstudio“, nicht auf Klar & Co., sondern auf die deutschen Künste und ihr Gefangensein in Strukturen in Zeiten finanzieller Nöte und rigiden ästhetischen Spielregeln. Die Befreiung einer Isadora Duncan oder Tänzerinnen wie Pina Bausch aus dem Korsett der klassischen „danse d'école“ läutete ein neues Zeitalter im Bühnentanz ein. Horn wagt sich an das Geheimnis von Improvisation im Tanztheater als Crossover von Klang und Bewegung. Die musikalische freie Gestaltung im Jazz erfanden ja kreative Afro-Amerikaner als Lebensretter in der Sklaverei. Auf Konzertpodien stehen seit Jahren Jazzer und Sinfonieorchester oder Starsolisten klassischer Musik im friedlichen Dialog miteinander.

Henrietta Horn hat sich mit Jens Thomas zusammengetan. Der Stimm-Performer, Komponist und Improvisator erregte mit seiner Konzertreihe „Piano Voices“ als „Artist in Residence“ am Schauspielhaus Bochum 2005/06 Aufsehen. In dem 70-minütigen „Freigang“ tasten sich die sieben Tänzer und der Musiker (mit Stimme und Konzertflügel) vorsichtig aneinander heran. Auf Sofas und Sesseln am Bühnenrand sitzend, versuchen zwei via Lampensignal wie in einer Bar die Kontaktaufnahme. Dann steht – ganz woanders - eine auf und tanzt sich frei. Der Musiker summt – auch ganz woanders – leise vor sich hin. Lauter, heller, voller und bewegter wird der Raum. Alle steigern sich in virtuosen Eskapaden allein oder gepaart und schließlich alle zusammen bis zur Ekstase.

Hatte Horn sich anfangs – die Erinnerung an ihre „Fallende Sucht“ wird wach – wie eine körperlich schwer Behinderte mit größtem Raffinement in die elegante Körperkunst der anderen gemischt, tanzt sie völlig befreit mit den anderen das sportliche Finale: eine Mannschaft, die siegen will. Jens Thomas singt dazu von der „Connection“, die wir haben oder uns wünschen.

Wo Horns Choreografie endet, wo die Improvisation der Tänzer einsetzt, bleibt – wie üblich im Tanztheater - unklar. Aber eins ist klar: jede Aufführung von „Freigang“ wird anders sein als die vorige. In der von mir besuchten zweiten Vorstellung auf pact Zollverein war der Dialog von Horn und Thomas eine brillante Begegnung von Profis. Eindeutiger Höhepunkt aber war die Nummer, in der ein Tänzer mit ziemlich verlegenem Gesichtsausdruck summt, schnalzt und schnipst und der Musiker ihn anheizt, indem er spontan zu „tanzen“ versucht. Am 19. Mai gibt’s „Freigang“ im Schauspielhaus Bochum.

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