Prof. Dr. Andreas Jacob, Marina Abramović, Salomon Bausch

Prof. Dr. Andreas Jacob, Marina Abramović, Salomon Bausch

Disziplinierte Interdisziplinarität

Auftakt der Pina Bausch Professur mit ihrer ersten Inhaberin, Marina Abramović, an der Folkwang Universität der Künste

Die Folkwang-Universität huldigt dem Werk von Abramović, Abramović huldigt dem Werk von Bausch, doch wer huldigt den 26 auserwählten Studierenden?

Essen, 15/11/2022

Drei unbequeme blaue Stühle, in einem Halbkreis angeordnet, mit zwei kleinen weißen Tischen, die mit Wasserflaschen dekoriert sind, formen die wohl herkömmlichste Anordnung eines vorstellbaren Podiums. Die Erwartungen an den performativen Charakter dieser besonderen Pressekonferenz sind im Vorfeld wohl andere. Doch sobald sich Marina Abramović auf den mittleren Stuhl setzt und ihre langsamen Lidschläge den Raum beruhigen, ergibt sich eine Reminiszenz an vergangene Arbeiten: „The first owner of the Pina-Bausch-Professorship is present“. Gerahmt wird sie von Prof. Dr. Andreas Jacob, dem Rektor der Folkwang Universität der Künste und Salomon Bausch, dem Vorstandsvorsitzenden der Pina Bausch Foundation. In enger Zusammenarbeit der Foundation ist es nach langjähriger Planung gelungen, durch Mittel der Landesregierung NRW und der Sonderförderung der Kunststiftung NRW, eine Fünf-Jahres-Professur einzurichten.

Der Rahmen eines „Free Interdisciplinary Performance Laboratory“ soll der Tradition von Kooperationstrukturen im Sinne der Folkwang-Alumna Pina Bausch folgen und ihr eine zukunftsorientiertere Perspektive geben. Auf ausdrücklichen Wunsch hin von Salomon Bausch ist das Format nicht nur an Tanzstudierende gerichtet, sodass aus 150 Bewerbungen schlussendlich 26 Personen unterschiedlicher Disziplinen ausgewählt werden konnten. In einem Dialog der Künste, wie es Jacob bezeichnet, soll die individuelle künstlerische Entwicklung der Studierenden gefördert werden. Somit ganz im Sinne Bauschs, die den künstlerischen Mut besaß, Grenzen zu überschreiten. Welche Person würde sich für diese Art von Lehre besser eignen als die Expertin für Grenzüberschreitungen? Somit ist es wenig verwunderlich, dass für diese neue Stelle aus Werbegründen ein*e renommierte*r Künstler*in gesucht wurde und die Wahl auf Abramović fällt. Als wäre er selbst noch verwundert, stellt Bausch die brennende Frage, die alle Anwesenden am meisten interessiert: „Why did you accept?“

Nachdem sie in der Vergangenheit schon an verschiedenen Hochschulen Gastdozentin gewesen war, weckten „the magic words“ (Pina Bausch) Abramovićs Interesse an dieser Stelle. Sie beteuert mit den Worten, „If there is the last teaching in my life, it‘s gonna to be this one“, die von der Folkwang-Universität gewünschte Verbindlichkeit. Auch wenn die beiden Künstlerinnen nie aufeinandergetroffen sind, hat Abramović die Arbeit aus der Distanz wahrgenommen und misst ihr einen großen Wert in der Entwicklung des zeitgenössischen Tanzes bei. Gerade weil Bausch, so Abramović, den Tanz in realen Situationen suchte, näherte sie sich der Performance-Kunst an und brachte die Kunst allgemein auf ein nächstes Level. Sowohl der Universität als auch Abramović geht es nicht um eine Beschäftigung mit dem Werk von Bausch oder einer Kopie ihrer Arbeitsprozesse. Vielmehr liegt der Fokus der einjährigen Lehre auf einer transdisziplinären Arbeitsweise, die auf die Aufführung einer long durational Performance hinarbeitet.

Innerhalb der vier Workshop-Einheiten fordert Abramović von ihren Studierenden „fire, discipline and commitment“ und scheut bei Verstoß ihrer Regeln nicht den Ausschluss aus dem Programm. Dem Eindruck einer strikten Führung entzieht sie sich mit dem Prinzip „I help them, they help me“ und betont, dass sie den Studierenden nicht vorschreibt, was sie zu tun haben. Sie ist sich ihrer Radikalität bewusst und will dennoch mit dieser Fähigkeit die jungen Künstler*innen in ihren Entwicklungen anstoßen. Dabei beruft sie sich in der dritten Phase ihrer Arbeitsmethoden auf den „Cleaning the House“-Workshop, der durch bestimmte Enthaltsamkeit die eigene Fokussierung, Ausdauer und Konzentration verbessern soll; sozusagen ein kompletter innerer Reset. Es entsteht ein wenig der Eindruck eines survival camps, der zu der Frage führt: Welche rekrutierte Armee wird uns bei der geplanten Präsentation im Juli erwarten? Werden noch alle dabei sein? Und wer sind die Auserwählten überhaupt?

Auf dem Podium fehlen 26 Stühle. Die Diskussion legt offen, welche Erwartungen Abramović an die Folkwang-Studierenden hat, doch wird nicht wahrnehmbar welche Hoffnungen die anwesenden Teilnehmer*innen an das Projekt haben. Nach dem offiziellen Teil kommen sie vor dem Gebäude zusammen, lernen sich kennen, beruhigen sich gegenseitig vor der Ehrfurcht gegenüber dem Star. Vereinzelt werden Stimmen hörbar, die sich mit Hilfe von Methoden der Selbstüberwindung nach einem besseren Verständnis ihrer selbst und ihrer eigenen Praxis sehnen. Welche Vorstellung von Disziplin sie wohl haben? Gemeinsam gehen sie über den Hof, erkennbar an einer mitzubringenden Yogamatte, in die erste zehntägige Phase des Projekts.
 

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