Drei düstere Ballette in Essen

Crescendo der Grausamkeit

Essen, 04/12/2007

Kurt Jooss' epochales Antikriegsballett „Der Grüne Tisch“ ist nirgends so sehr „zu Hause“ wie in Essen, entstand es doch hier und erlebte seine Uraufführung in der Einstudierung des Mitgründers der Folkwangschule mit seiner „Folkwang-Tanzbühne“ (1932 in Paris). Das museale Meisterwerk ist ein „Handlungsballett“ von ganz anderer Qualität und Brisanz als Märchen wie Dornröschen oder Aschenputtel. Inspiriert vom Totentanzfries in der Lübecker Marienkirche, zeigt Jooss den allpräsenten Tod in Ritterrüstung, der alle „holt“ - Soldaten wie Mütter und Liebchen, selbst den skrupellosen „Schieber“, der mit der Not der anderen seinen Profit macht. Nur die Herren in schwarzen Anzügen, weißen Handschuhen und Masken (von Hermann Markard), die am Grünen Tisch über Krieg und Frieden debattieren, bleiben am Leben – und treiben ihre rücksichtslosen Verhandlungen auch angesichts der verheerenden Kriegsfolgen weiter.

Marat Ourtaev ist trotz trotzigen Stiefel-Stampfens ein eher sanfter Tod. Zu weich sind seine Bewegungen, zu wenig zupackend sein Griff, zu zierlich seine Gestalt. Zackig paradieren die Soldaten, schauerlich schön wirkt Tomás Ottych als „Fahnenträger“, rührend Ludmila Nikitenko als „das junge Mädchen“, schlitzohrig der „Schieber“ Cleiton Diomkinas, zerbrechlich und verschüchtert „die alte Mutter“ Philippa Ward, couragiert Alicia Olleta als „die Frau“, die ihren Protest mit der Hinrichtung bezahlen muss. Das Pianistenpaar Renate und Xaver Poncette spielte Fritz A. Cohens Originalmusik zu diesem expressionistischen Tanztheater, wie üblich, sichtbar im fast ganz hoch gefahrenen Orchestergraben – anfangs mit reichlich viel Pedal, aber prägnant in den motorischen Rhythmen und leichtfüßig ironisierend in den Politiker-Szenen. Die Einstudierung besorgte, wie üblich, Joos-Tochter Anna Markard, assistiert von Jeanette Vondersaar. Dem düsteren Totentanz in acht Bildern geht eine Uraufführung voraus.

Susanne Linke, eine der international noch immer prominentesten Repräsentantinnen des Deutschen Ausdruckstanzes, schuf als Auftragswerk für Tanzstar Raul Raimondo Rebeck ein Solo auf Gustav Mahlers Adagietto aus der 5. Sinfonie (vom Band eingespielt). „Kaikou“ hat die diesjährige Trägerin des „Deutschen Tanzpreises“ und Wahl-Essenerin ihre viertelstündige asiatisch-geprägte Choreografie genannt. Das bedeutet soviel wie Seelenwanderung. Zu sehen ist allerdings eher die Mutation vom Tier zum Menschen (mit seinen männlichen und weiblichen Zügen, optisch raffiniert angedeutet durch den Hosenrock) - und zurück. Scheint das Leben als Wildkatze in der Einsamkeit finsterer Wälder besser als menschliches Dasein? Siegt das Animalische im Menschen über den „animus“? Zwar mimt Rebeck das wilde Tier überaus authentisch. Eindrücklicher wirkt aber sein Tanz mit dem Bambusstab. Dem kürzlich verstorbenen Maurice Béjart, für den Rebeck viele Jahre lang tanzte, widmeten er und Linke die Uraufführung. Mit dem bizarren Stück ganz aktuellen zeitgenössischen Tanzes „Home and Home“ beginnt das Programm.

Johan Inger, Direktor von Stockholms „Cullberg-Balleten“, ist ein typisch skandinavischer Choreograf. Kobolde und Gnome, Versteckspiele hinter Wänden, halsbrecherische Kletterpartien und Hebungen gehören zu seinem Repertoire. Essens Ensemble beherrscht die diffizile Technik staunenswert. „Home and Home“ ist voller Tücken und Grausamkeiten. Träumt die junge Frau (Yoo-Jin Jang) von einem anheimelnden Alltag mit Blumentopf, sieht man sie bald in den Fängen eines brutalen Ehemannes (Tomás Ottych), der sie nach einem quälenden Katz-und-Mausspiel kurzerhand wie eine tote Puppe auf einen Nagel an der Tür aufhängt. Huschende, springende, lauernde Gestalten funken wie Irrlichter dazwischen und Frauen, die der entnervten Frau kaum zu Freundinnen taugen. Der Soundtrack von Bach bis Pop und wummerndem Techno unterstreicht das Crescendo der Grausamkeit. „Abschied und Tod“ soll – laut Ballettdirektor Martin Puttke - die Klammer sein, die die drei düsteren Stücke zusammenhält. Die „Entwicklung des modernen Tanzes in drei verschiedenen Handschriften“ will er vorstellen. Aber da endet das Konzept auch schon, zumal die Reihenfolge den Zeitablauf dieser „Entwicklung“ genau auf den Kopf stellt.

So pauschal lässt sich der Bühnentanz kaum definieren, so klischeehaft emotional gerade Jooss' politisches Ballett nicht beschreiben. Dennoch: Essens „aalto-ballettheater“ ist eine Truppe, die dank ihrer technischen Vielseitigkeit durchaus ganz vorn mittanzt im deutschen Theater.


Nächste Vorstellungen im Essener Aalto-Musiktheater: 4., 9., 14., 15. und 19. Dezember Karten: 0201-8122 200.

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