Vom heutigen und vom archaischen Lebensgefühl in Berluscona

Die Compagnia Aterballetto zu Gast im Forum am Schlosspark

oe
Ludwigsburg, 18/06/2005

Mauro Bigonzetti, Römer des Jahrgangs 1960, ist sicher der fleißigste aller italienischen Choreografen. Unermüdlich kreiert er ein Ballett nach dem anderen für seine 1997 übernommene, in Reggio Emilia ansässige Compagnia Aterballetto – und obendrein laufend im Ausland (demnächst ja auch wieder in Stuttgart). Jetzt war er wieder einmal in Ludwigsburg zu Gast, mit allen seinen fünfzehn Tänzern, dazu ein paar Musikern um den Pianisten Bruno Moretti und vier robusten Damen der Gruppo Musicale Assurd, die sich mit ihren Instrumenten, vor allem aber mit ihren Stimmen so lautstark in Szene setzten, als gälte es dem Lärmchaos ums Forum Romanum Paroli zu bieten. Und da Bigonzetti wahrlich das Publikum anzumachen versteht, schwammen die Besucher im Forum am Schlosspark in Wonne und hätten sich am Schluss am liebsten auf die Bühne gestürzt, um mit den Tänzern und den vier Mamma-Roma-Vokalistinnen herumzuschwofen.

Bigonzetti ist der italienische Fratello des französischen Roland Petit: klassisch geschult – und so sieht er darauf, dass seine ausgesprochen attraktiven Tänzer über ein grundsolides klassisch-akademisches Fundament verfügen (wie sehr sie es auch verbiegen und vertwisten mögen) – und dass sie Sex aus allen Poren schwitzen. Dazu bietet er ihnen denn auch, assistiert von seinen Kostümbildnern, reichliche Möglichkeiten – unterstützt nicht zuletzt von seinem famosen Beleuchter Carlo Cerri, der es liebt, die Bühne in ein schummriges Ambiente mit einem Hauch von Verruchtheit zu tauchen.

Drei Ballette denn also! Am Anfang, frei nach Michelangelo: „Vespro – Nachtspiele“ – die Stunde des Abendgebets, aber eben wie man auf Italienisch zu „vespern“ liebt, mit einem halbnackten Vorbeter, der seine wohl assortierten Muskeln spielen lässt, sozusagen „Il spirito della preghiera“ (ein apenninischer Verwandter von Fokines „Spectre de la rose“?). Erotisch aufgeladen bis in die vorzugsweise umgestülpt präsentierten Damen, so dass denen die Röcke über den Kopf fallen. Auch in dem geheimnisvoll initialisierten „WAM“ geht es anschließend laut Bigonzetti um „Liebe und Verführung“ –statuiert am Beispiel des Wolfgang Amadeus Mozart.

Zu den schmerzlich detonierten Klängen des „Voi che sapete“ aus dem „Figaro“ strippt sich eine knallrote Velasquez-Domina erst einmal umständlich aus ihrer Robe für ihr Coming-Out als gerupfter Paradiesvogel aus Papagenos Voliere, um sich sodann einem Casting für das, was Vögel so zu tun belieben, zu unterziehen. Wobei sich Bigonzetti als ein ausgepichter Connaisseur der Ornisexologie, offenbar einer Variante der Scientology für die lieben Uccelli, erweist.

Schliesslich spürt er in „Cantata“ den Uranfängen der alten Römer nach. Denn was taten diese Schlawiner zu Zeiten des Romulus und Remus anderes als ihre „Machtspielchen der Geschlechter um Verführung und Unterwerfung“ zu praktizieren. Der Choreograf also als Archäologe auf der tänzerischen Spurensuche nach „den Wurzeln der italienischen Kultur“. Und die, demonstrieren die famosen Tänzer des Aterballetto, speisen heute noch das Lebensgefühl in Berluscona.

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