Das Cloud Gate Dance Theatre mit Lin Hwai-mins „Cursive II“ beim Movimentos Tanzfestival

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Wolfsburg, 23/05/2004

Sie sind inzwischen zu Freunden geworden, Lin Hwai-min und die Tänzer des Cloud Gate Dance Theatre of Taiwan. Auf ihrer jährlichen Tournee zeigten sie diesmal – neben „Cursive“ aus dem Jahr 2001 – beim Movimentos Internationalen Tanzfestival in Wolfsburg als Europapremiere Hwai-mins „Cursive II“: das Stück, über dessen Premiere Jochen Schmidt als erster Gastkritiker im tanznetz berichtet hat (kj vom 23.09.2003). Es war ein Abend reinster Poesie, der das Publikum in einen tranceähnlichen Zustand versetzte: so enigmatisch, so vertraut, dass man den Herzschlag einer fremden Kultur zu vernehmen glaubte.

Es handelt sich um zehn ineinander übergehende Stücke von pausenlosen 70 Minuten Dauer. Beruhend überwiegend auf kleinen Ensembles und einzelnen Soli – die ganze Kompanie mit ihren 22 Tänzerinnen und Tänzern ist nur an einem einzigen Tanz beteiligt, der wie ein Taifun vorüber wirbelt – sehr im Gegensatz zu den überwiegend meditativen und kontemplativen Abschnitten (die allerdings häufig in abrupte, immer sehr kurze Explosionen und schraubenartige Drehsprünge ausbrechen). Insgesamt gibt sich die Choreografie sehr Tai-Chi geprägt, assimiliert aber auch nahtlos Einflüsse diverser Contemporary Dance Idiome und sogar auch neoklassische Motionen à la van Manen (woran man besonders bei den schwarzen Röcken der barbrüstigen Männer denkt – die Frauen tragen transparente weiße Hosenröcke und farblose Tops – Kostüme: Lin Jing-ru). Zarte, duftige Aquarellfarben kommen durch die abstrakten, tuschartigen Hintergrundprojektionen von Austin Wang und das hoch differenzierte Beleuchtungs-Design von Chang Tsan-tao und Lulu W. Lee ins Spiel.

Einen nicht zuletzt atmosphärisch entscheidenden Beitrag leistet das Klang-Environment ausgesuchter Kompositionen von John Cage. Von einer Korrespondenz zwischen der Musik und der Choreografie kann nicht die Rede sein (noch weniger als bei Cunningham). Es sind sehr zarte Stücke von Cage, einzelne Töne und musikalische Abbreviaturen mit viel Luft und Freiräumen, in die sich die Choreografie gleichsam einnistet. Das addiert sich zu Klangtanzgespinsten, die sich immer wieder zu bewegten Formationen von atemberaubender Schönheit verdichten, die sich aber nie zu Posen verfestigen, sondern in ihrem Kulminationspunkt bereits wieder verflüchtigen. Es ist eine Choreografie, die sich durch einen unendlichen, ganz und gar organischen Fluss auszeichnet.

Wenn man bei Alexander Calder von „Mobiles“ spricht, so ist man versucht, Lin Hwai-mins choreografische Kalligrafien als „movimentos“ zu bezeichnen. Als wenn er damit dem Wolfsburger Festival zu seinem choreografischen Logo verholfen hätte. Wie gesagt, die 70-Minuten-Ewigkeit, die das Cloud Gate Dance Theatre aus Taiwan in diesem „Cursive II“ bietet – ausgeführt von den wunderbaren Tänzern in meditativer Hingabe (bei höchster technischer Konzentration – hier scheint jeder Muskel choreografiert – allein die Rücken des Männerensembles zu beobachten, ist atemberaubend) – gehören zu den schönsten, vollkommensten und reinsten Theaterbeglückungen unserer Tage. Am Samstag noch – mit einem anderen Stück – bei den Wiesbadener Maifestspielen zu erleben. Und ab 4. September dann hoffentlich ein ähnliches Wunder, wenn Lin Hwai-min als erste Einstudierung einer seiner Arbeiten bei einer europäischen Kompanie mit dem Opernballett in Zürich sein „Smoke“ (2002) präsentiert.

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