Tanz über Tanz

Michèle Anne de Mey, Mette Ingvartsen, Tero Saarinen und Pichet Klunchun beim Tanz im August

Berlin, 29/08/2006

Tanz im August ist achtzehn und deshalb nicht nur – wie bereits vielfach gesagt wurde – in Partystimmung, sondern auch erwachsen genug, um den Tanz als selbstreflexive Kunst zu praktizieren.

In der „Sinfonia Eroica“ der Belgierin Michèle Anne De Mey ist der Tanz eine Fete auf dem Abenteuerspielplatz, auf der die Protagonisten nicht nur dem Publikum, sondern auch ihren Kollegen etwas vortanzen. Während die einen beispielsweise auf Schul-Turnbänken Platz nehmen, führen die anderen schön der Reihe nach ihre Kunststückchen vor: Soli, Paare in Tanzhaltung, Handstände, Tanz einzelner Finger und am Ende eine große Wasserschlacht. Party gelungen.

Mette Ingvartsen reicht eine Party nicht. Es muss schon eine Orgie sein. Sex und Swing ist angesagt in ihrem Stück „to come“. Es ist allerdings ungewöhnlicher Sex, vorgeführt von fünf in blauen Ganzkörperanzügen steckenden Gestalten, deren Geschlecht nur andeutungsweise und deren Gesichter überhaupt nicht zu erkennen sind. Auf ironische und sehr amüsante Weise zeigt dieser flotte Fünfer, von dem man nicht genau weiß, ob es sich um Gliederpuppen, Knetfiguren oder organische Gewächse handelt, dem lachenden Publikum, wie menschliche Körper sich verbinden könnten. Aber die schweigende Kopulation wird unterbrochen durch eine plötzliche Metamorphose, nach der die Akteure in normaler Partykleidung vor das Publikum treten und das zuvor pantomimisch Angedeutete nun als Chor aus drei Damen und zwei Herren akustisch nachspielen. Auf dem Höhepunkt leitet Swingmusik zum dritten und letzten Akt der Performance über, in dem das Quintett in eine immer exzessivere Tanzsucht gerät, bis nach fast dreißig schweißtreibenden Minuten ein Paukenschlag dem Veitstanz ein Ende setzt.

Wesentlich gravitätischer geht es bei Tero Saarinens Choreografie „Borrowed Light“ zu. Sie basiert auf den Tänzen der Shaker, einer in den USA im 18. Jahrhundert entstandenen radikal protestantischen, asketisch lebenden Sekte, die als besondere Gebetsform einen Schütteltanz entwickelt hat. Die ganz in schwarz kostümierten Tänzer und Tänzerinnen deuten Szenen aus dem gemeinschaftlichen Leben der Shaker an. Die Choreographie allein würde allerdings nicht ausreichen, das Stück durch die gesamten siebzig Minuten zu tragen. Doch die Kombination mit der musikalischen Tradition der Shaker – die durch die Sänger der Boston Camerata mit großer stimmlicher Reinheit vorgetragen wird – und das geniale Lichtdesign von Mikki Kunttu schaffen ein in sich schlüssiges Werk.

Ganz auf die Tradition verlässt sich der Thailänder Pichet Klunchun mit seinem Stück „I am a Demon“. Das wird hier noch deutlicher als bei seinem wenige Monate zurückliegenden Berliner Auftritt mit Jérôme Bel, denn dieses Mal konzentriert er sich ganz auf eine Kunst, die nicht er selbst kreiert hat, sondern die ihm sein Lehrer und die klassische Überlieferung hinterlassen haben. Das verhilft ihm zu einer Bühnenpräsenz, die ihresgleichen sucht. Der Dämon, eine der vier Grundfiguren des thailändischen Khan-Tanzes, fügt sich gut in diese Verbundenheit mit der Tradition. Denn der Dämon ist eine Figur der Besessenheit, und in der Tat ist es nicht Klunchun, der über seine Kunst verfügt, sondern er stellt sich so dar, als ob dieses jahrhundertealte Erbe ihn besitzt. Sein jahrelanger Umgang und die stete Auseinandersetzung mit der Kunst in täglichem, hartem Training schlagen sich in einer atemberaubenden Genauigkeit jeder einzelnen noch so einfachen Geste und einer beeindruckenden inneren Ruhe nieder. Sein Tanz entführt in eine Transzendenz, in der nur die Geräuschkulisse (Szenen aus englisch-thailändischen Interviews) einen merkwürdig verfremdenden und manchmal störenden Eindruck hinterlässt.

Beim diesjährigen Tanz im August scheint sich hinter dem offiziellen Schwerpunkt Belgien ein roter Faden zu verbergen: Anders als bei vielen zeitgenössischen Werken geht es hier weniger um Konzepte, sondern im Vordergrund steht die Auseinandersetzung mit vorgegebenen Tanzsituationen. Sei es auf De Meys Party auf dem Abenteuerspielplatz, sei es bei Ingvartsens Swing-Orgie, sei es in Saarinens Schütteltanz oder Klunchuns Khan-Tanz: Präsentiert wird nicht Tanz, der anderes zeigt, sondern Tanz, der anderen Tanz zeigt.

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