Pina Bauschs neues Stück

oe
Wuppertal, 18/05/2001

Auch vor der vierten Vorstellung des neuen Pina-Bausch-Stücks im Opernhaus von Barmen Dutzende von – vergeblich – auf eine Eintrittskarte hoffende Fans. Abermals zunächst kein Titel. Abermals der Eindruck, dass nicht alles rechtzeitig fertig geworden ist (besonders im zweiten Teil mit seiner ausufernden Wasserschlacht).

Klar indessen ist, dass die Wuppertaler Conquistadora auf ihrer neuesten transozeanischen Expedition ungeheuer fündig geworden ist. Brasilien, die dortigen Congadas und Capoeiras, der Amazonas und der Regenwald, aber auch die Spaßgesellschaft von Copacabana haben sie inspiriert wie kaum einer ihrer globalen Erkundungen der jüngeren Vergangenheit.

Pina Bausch als tänzerische Pionierin eines postkolonialen Imperialismus: Wer hätte ihr das vor fünfundzwanzig Jahren zugetraut! Brasilianisch, das sind nicht nur die rasanten Film- und Videosequenzen, die Peter Pabst auf den weißen Flächen seines Bühnenraums abspult – nicht die knallbunten Fähnchen, Roben, Karnevalskreationen und Bademoden, die Marion Cito den Tänzerinnen und Tänzern auf den Leib geschneidert hat – und auch nicht dieser abenteuerliche, von heißen afro-brasilianischen Rhythmen ständig am Brodeln gehaltene Musikmix, den Matthias Burkert und Andreas Eisenschneider servieren (und dem nur eine Prise Villa-Lobos fehlt).

Brasilianisch an diesem jüngsten Bauschprodukt, das ist die neue Leichtigkeit, dieser nicht zu bremsende Elan vital, diese sinnenfrohe Lässigkeit im Umgang der Geschlechter miteinander. In Brasilien hat Pina Bausch darüber hinaus eine choreografische Goldmine entdeckt, die ihr Vokabular ungemein bereichert hat. Nie gesehene Sprungkombinationen, die fabulösesten Arme-, Hände- und Finger-Figurationen, Bodenakrobatismen nebst Schleuder-, Fang- und Rollaktionen verblüffen immer wieder in den zahllosen Soli und kleineren Ensembles, maßchoreografiert für jeden ihrer einundzwanzig Charaktersolisten. Und mit ihrem famosen Ensemble scheint dessen Chefin wie nach einer Frischzellentherapie um ganze Jahrzehnte verjüngt.

So viel Spaß war nie im Wuppertaler Tanztheater, das in Brasilien zu den Wurzeln seines Metiers zurückgefunden hat: zum Tanz! Wie wär´s denn, wenn sie sich zum bevorstehenden Gastspiel noch eine Sondernummer einfallen ließe – und sei´s nur für ein paar Galavorstellungen: mit Marcia Haydée und Ismail Ivo als brasilianischen Gaststars – auch wenn der eine oder die andere das als Todsünde gegen den Ensemblegeist des Wuppertaler Tanztheaters empfände!

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern