Alleyne Dance: „Far From Home“

Alleyne Dance: „Far From Home“

Harte Realitäten und eine Legende

Mathilde Monnier mit „BLACK LIGHTS“, Alleyne Dance mit „Far From Home“ und Sidney Leonis „FLY“ bei ImPulsTanz – Vienna International Dance Festival 2023

Mathilde Monnier, Kristina und Sadé Alleyne legen beim ImpulsTanz die Finger in offene Wunden unserer Gesellschaft. Sidney Leoni hat sich mit Vaslav Nijinsky auseinandergesetzt.

Wien, 04/08/2023

„BLACK LIGHTS“

Die französische Choreografin Mathilde Monnier lässt in ihrer aktuellen Produktion „BLACK LIGHTS“ acht Frauen zu Wort kommen. Da ist die Studentin, die so lange die Oberhand in einer Diskussion mit ihrem Professor hat, bis er ihr ein Kompliment zu ihrer Frisur macht und sie so aus dem Konzept bringt. Oder die Frau, die gleich am ersten Tag als Rezeptionistin wieder gefeuert wird, weil sie keine Stöckelschuhe tragen kann. Noch dazu sollen die High Heels mindestens 8 cm Absatzhöhe haben – die Kunden würden das erwarten. Eine Frau wehrt sich, als sie abends auf der Straße angemacht wird. Sie attackiert den Angreifer. Ihre Schilderung führt zu spontanem Szeneapplaus. Besonders nachdenklich macht die Schilderung einer Frau, die gerade in Flammen steht. Der männliche Polizist hat ihre Anzeige wegen häuslicher Gewalt nicht ernst genommen. Die Szenen entstammen alle der französischen TV-Serie „H24 – 24 Stunden im Leben einer Frau“ der Regisseurinnen Valérie Urrea und Nathalie Masduraud. Zwischen den Erzählungen lässt Monnier tanzen. Da winden und verschrauben sich die Körper, man merkt, wie diese Erlebnisse in den Körpern nachwirken. Doch es gibt auch sanftere Momente. Stéphane Bouquet ist eine gute Dramaturgie gelungen, unterstützt wird diese auch durch das Sound-Design von Olivier Renouf und Nicolas Houssin. Harte Technobeats unterlegen die Schlussszene voller Empowerment. Standing Ovations für diesen packenden Abend, der noch lange in einem nachwirkt.

„Far From Home“

In „Far From Home“ der Choreografinnen Kristina und Sadé Alleyne stehen Migrant*innen im Mittelpunkt. Rein mit den Mitteln des Tanzes entstehen kleine Szenen, die allerdings keine lineare Erzählung sind. Es gibt Abschiede. Ein Gefährt, das an ein überladenes Schiff erinnert, wird über die Bühne geschoben, doch nicht alle scheinen am ersehnten Ziel anzukommen. Am neuen Zufluchtsort erleben die Menschen Annäherung aber auch Ablehnung. Untereinander scheint es ebenso zu Spannungen zu kommen. Doch auch freudige Momente sind zu sehen. Der Bühnenentwurf von Noa Prealoni und Manuela Capraro, die Bühne wird hinten und an den Seiten von riesigen Prospekten eingegrenz, die in Erd- und Sandtönen bemalt sind. Alles wirkt sehr düster. Am Boden liegen Sand und Erde, die die Kostüme der Tänzer*innen im Laufe des Stückes immer dreckiger erscheinen lassen. Die beiden Choreografinnen, die auch selber mittanzen, mischen zeitgenössische mit afroamerikanischen Elementen, die Körper der sechs Tänzer*innen wirken weich und durchlässig. Gut integriert sind in einzelnen Szenen die in Wien lebenden Tänzer*innen, eine Mischung aus Profis und Laien unterschiedlichen Alters. Die Komposition von Giuliano Modarelli und Nicki Wells, eine Mischung aus Geräuschen, Klangflächen und Gesang, verstärkt die beeindruckenden Bilder. Auch hier viel Applaus des Publikums, dessen großes Interesse neben den zwei geplanten zu vier weiteren Vorstellungen geführt hat.

„FLY“

Das Leben des Ausnahmetänzers und -choreografen Vaslav Nijinsky bringt Sidney Leoni auf Leinwand und Bühne. Er hat sich für „FLY“ sehr intensiv mit der Biografie sowie den Tagebüchern des Genies auseinandergesetzt und so an ihn angenähert. Entstanden ist ein professioneller 82 Minuten langer semidokumentarischer Film, der schon für sich alleine stehen würde. Zu sehen sind auch Ausschnitte aus unterschiedlichen Werken Nijinskys, die extra produziert worden sind. Hut ab hier auch vor den Kostümbildnerinnen Jennifer Defays und Rachel Lesteven. Vor der Leinwand auf der Bühne doppelt Leoni, unterstützt von Elias Girod und Linda Blomqvist, das Geschehen oder reagiert darauf. Leoni betet aber nicht nur das Idol an, sondern hat mit seinen Ideen auch weitergearbeitet und versucht, diese ins Heute zu bringen. Gegen Ende dann ein Bruch im Geschehen mit einer unterhaltsamen Line Dance Einlage bevor man dann das Gefühl bekommt, dass alle dem Wahnsinn verfallen. Ein gut gemachter, spannender und informativer Abend.

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