Melancholic Marathon

go plastic Company:  „Melancholic Marathon“ mit Momo Fujita Tanner und Cindy Hammer 

Entspannte Loops

go plastic Company zeigt im Leipziger Lofft seinen „Melancholic Marathon“

Die go plastic Company übt in diesem Abend mit Cindy Hammer und Momo Fujita Tanner den melancholisch-performativen Staffellauf auf einer neunzigminütigen Marathonstrecke. Ganz relaxed.

Leipzig, 26/11/2023

Glaubt man den Schriften des römischen Arztes Galen (2. Jahrhundert), ist die Melancholie ein Ergebnis der schwarzen Galle, die von der Milz produziert wird und mit der Jahreszeit Herbst verbunden ist. Von daher passt es, dass die go plastic Company aus Dresden im November ihre Uraufführung von „Melancholic Marathon“ als relaxed Performance präsentiert. Auf Isomatten und Kissen, die überall auf dem weißen Tanzteppich, verteilt sind, können die Besucher*innen sich niederlassen, um den knapp 90 Minuten melancholischer Körpersinnsuche beizuwohnen. Die Sitzenden blicken auf das Stahlgerippe der entblößten Zuschauertribüne, von denen einige Bühnenelemente ein Halbrund nach vorn bilden. Zwei große goldene Schaumstoffobjekte, die wie zerfließende Hände wirken, hat Christian Rätsch auf der Bühne und über den Zuschauenden aufgehängt. Dazu kommt eine große Plastikkugel, in denen es sich Cindy Hammer und Momo Fujita Tanner abwechselnd bequem machen, während die andere ihren Part des Marathons tanzt, der in dieser Zweitteilung eher ein Staffellauf ist. Im Foyer lädt eine ganze Ausstellung mit Kunstwerken und Rechercheergebnissen zum weiteren Räsonieren ein.

Mit „Mind the Rage“ hatte sich die Company bereits mit dem Thema Wut performativ auseinandergesetzt und eine Art szenischen Parcours angelegt, in dem verschiedene Formen von Wutausdrücken teilweise parallel präsentiert wurden. Blieben dort die Zuschauenden permanent aktiv und auf der Lauer, ist hier das Konzept der entspannten fast schon verträumten Atmosphäre konsequent, und wenn im nächsten Jahr „Nostalgie“ verhandelt werden soll, darf man gespannt sein.

Elektronische Melancholie, zwei Frauenkörper und -stimmen

Der melancholische Marathon beginnt mit einem gruppentherapeuthischen Input. Mit geschlossenen Augen sollen sich die Versammelten an einen melancholischen Moment erinnern und den körperlichen Ort dieses Gefühls still berühren. Es bleibt die einzige Mitmach-Nummer, danach beginnt Momo Fujita Tanner in einem rot abgestuften Kostüm ihren Teil der Marathon-Strecke während Cindy Hammer, ganz in Blau mit – wie man später merkt - quietschender Gummihose – in der Plastikkugel sitzt und die Bewegungen der Kollegin mitunter minutiös über ein Mikrofon protokolliert. Dazu performt ZWEATLANA live von der Bühne einen Soundtrack zwischen elektronischen Klick-Beats und sphärischem Live-Gesang. 

So bewegt sich Fujita Tanner in kleinen Loops mit ständigen Variationen über die Bühne. Mal zieht sie die Arme vor der Brust zusammen, lässt ihren Körpern pendeln, mal baumeln die Beine vom Bühnenpodest, oder sie sitzt gedankenverloren vor einer Bühnenschräge. Sie floatet ganz weich durch den Raum oder gibt sich nach einem Musikwechsel zackig und eckig. Dazu läuft mit Unterbrechungen der Live-Kommentar Cindy Hammers, der sich nicht in den Beschreibungen erschöpft, sondern Zitate und Eindrücke auf Deutsch und Englisch einfließen lässt: „Wilde Gedanken ohne Namen und Adresse. Ich muss ihnen hinterher, um zu erfragen was passiert.“ oder „Let’s drift through space“.

Dann grelles Licht, Personalwechsel, Staffelübergabe. Fujita Tanner sitzt nun in der Plastikkugel und spricht, während Hammer das Tanzbein schwingt. Erst deutet sie an, dass sie den bisherigen Parcours rückwärts tanzen wird, doch das hat sich schnell erledigt, nachdem sie einige der prägnanten Posen ihrer Kollegin aufgenommen hat und dann eigene Wege geht. Es kommt eine stärkere Aggressivität herein oder auch Hilflosigkeit. Minutenlang harrt sie zuckend in geloopten, zackigen Beats aus, zitternd, und schiebt sich dann über den Tanzteppich, den sie aufreißt und darunter eine goldene Schicht freilegt. Das Licht flackert, wechselt die Farben, darüber immer wieder die Stimme Fujita Tanners: „No one can escape the concept of time!“ Hammer verschwindet am Ende doch in den Zuschauern und Fujita Tanner haucht in das goldene Licht ein letztes: „ Die Präsenz liegt noch in der Luft.“

Atmosphäre schlägt Inhalt

Eine ansprechende, tatsächlich meist entspannte Performance, die aber den im Programmheft ausgebreiteten Anspruch kaum einzulösen vermag. Das mag mit der maximalen Überkonzeption des Abends zu tun haben, der weniger einen unmittelbaren Umgang mit dem selbst gesetzten Thema zulässt, sondern vielmehr wie eine dritte Abgleichung desselben daher kommt. Konkret wird in dieser an sich schönen Performance nichts und so ist „Melancholic Marathon“ vor allem ein schöner Abend in einladender Atmosphäre, der aber über seinen eigenen Inhalt gekonnt hinwegspielt.

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