„Solitude“ von Mario Schröder mit dem Leipziger Ballett

Der Einsamkeit entkommen

Mario Schröder sucht mit Vivaldi und anderen nach „Solitude“

Das Pandemiestück „Solitude“ von Mario Schröder in der Wiederaufnahme beim Leipziger Ballett. Wie nah geht uns dieses Pandemiegefühl überhaupt noch?

Leipzig, 06/04/2023

Eingekastet in Lichtkäfige mit weißen Schutzanzügen und Atemmasken, so präsentieren sich die Tänzerinnen und Tänzer des Leipziger Balletts kurz nach dem Start von „Solitude“. Es ist Mario Schröders Beitrag zum Pandemiegefühl, das zur Wiederaufnahme – die Premiere war im Oktober 2020 – fast schon ganz weit weg ist und gleichzeitig auch gar nicht. Denn die Einsamkeit in der Zelle des Privaten, in die das Virus alle einpferchte, hat natürlich Spuren hinterlassen in uns allen. „Solitude“, nimmt sich diesem diesem Gefühl an und schlägt in starken Bildern eine Brücke in jene fern wirkende Zeit und bewirkt gleichzeitig, die damaligen Eindrücke neu zu bewerten.

Dass dies gelingt, liegt nicht zuletzt an Paul Zollers ebenso einfachen wie eindrücklichen Bühnenbild. Über der Bühne schwebt ein Gerüst aus 24 Rechtecken, die aber nicht starr sind, sondern über Gelenke gefaltet werden können, was immer wieder neue Raumkonstellationen ergibt, zumal das gesamte Objekte auch noch rauf und runter fährt. Ansonsten bleibt die schwarze Bühne leer bis auf das Corps de Ballet und am Ende ein kleines Spezialorchester mit Bläsern, Schlagwerk und Violine, das Galina Ustowskajas Symphony Nr. 5 „Amen“ spielen wird. Den Rest des gut einstündigen Abends gibt das Gewandhausorchester vor allem Vivaldis „Strabat mater“, dazu ein bisschen Bach und als Ausflug in die Moderne zwei Stücke von Peteris Vasks.

Das trägt das Ensemble gut durch die einsame Nacht, wobei Schröder das Kunststück gelingt, Vereinzelung als kollektives Erlebnis erfahrbar zu machen. Während ein Tänzer voll maskiert vorne an der Rampe Platz nimmt, kämpfen sich die anderen in ihren parzellierten Wirkungsvierecken aus der Schutzrüstung. Genau dem Takt folgend tanzen sie jeder für sich, halten ein, liegen stehen, kauern. Es folgen in Paar getanzte Erinnerungen und Hoffnungen mal groß und ausladend, mal klein und verspielt oder ganz und gar romantisierend, später auch größere Figuren in 7er Gruppen, alles in Wellen, die über die dunkle Bühne rauschen, mal von links, mal von rechts und darüber und dahinter das drohende Schema der Rechtecke, das sich aufbäumt oder einfällt, ganz wie der Mensch auch. Eine Revue der frohen Hoffnung, doch die Trennung vom Kollektiv der Gemeinschaft schlägt immer wieder zu, wenn etwa vier Tänzerinnen vor dem sich senkenden Gazevorhang auf der Vorbühne gefangen bleiben und ihnen zwischen Orchestergraben und Vorhang alle Spielräume fehlen.

Das bläserdominate stark rhythmisierte Ende mit Galina Ustowskaja „Amen“ mit Sprechgesang vom ukrainischen Countertenor Yuriy Mynenko ist denn auch alles anderes als versöhnlich. Denn das hier ist kein Rückblick sondern eine Zustandsbeschreibung des Jahres 2020, eine erste Lockerungsübung, ein Spiegel der Zeit und nicht das Pandemieende. Daher wirkt der Schluss fast abrupt und unaufgelöst, denn natürlich ist heute ein anderes Jetzt und die damalige Zeitenlage überwunden, was zumindest eine Art von Epilog nach dem großen Schlussbild wünschenswert machen machen würde.

Was bleibt ist ein Werk, das in seiner Tiefe und Bildgewalt, die Musik und Körper in wunderbare Übereinstimmung bringt, und noch immer berührt und erinnern lässt. Es ist aber auch fraglos ein Kind seiner Zeit und vielleicht das Werk Marios Schröder, welches von der Gegenwart außerhalb der Kunst am stärksten infiltriert wurde.

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