„United Fortress of Europe“ von Physical Theater Company Side Effect 

Politische Performance

„United Fortress of Europe“ der Physical Theater Company Side Effect im Wiener Odeon Theater

Gemeinsam mit den Performer*innen legt der Regisseur Danilo Jovanović den Finger in eine offene Wunde: den Umgang Europas mit Asylsuchenden und Migrant*innen.

Wien, 13/09/2022

Europa hat sich zur Festung ausgebaut. Im Theaterfoyer werden Reisepässe angeboten, die Plätze im Zuschauerraum sind – wenn man das Theater kennt – über Umweg zu erreichen, denn die erkennbaren Zugänge sind durch Seile, die von Performer*innen gehalten werden, versperrt. Auf der Bühne (mit viel Pink und Gold gestaltet von Yasemin Duru) fährt ein in einem Einkaufswagen sitzender Darsteller hin und her, indem er sich immer wieder mit einem Ruder vom Boden abstößt. Sofort hat man unterschiedlichste Assoziationen im Kopf. Manche davon werden im Laufe des Abends auch noch zur Sprache kommen, wie etwa der Umgang von Frontex, der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache, mit Flüchtlingsbooten.

Die sieben Performer*innen schildern Erfahrungen wie Alltagsrassismus, Lohnarbeit, Erlebnisse mit der MA35, der Magistratsabteilung für Einwanderung und Staatsbürgerschaft, und thematisieren den unterschiedlichen Umgang mit Flüchtlingen seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine. Plötzlich herrscht wieder eine viel stärkere Willkommenskultur, „der Stacheldraht wurde durch einen roten Teppich ausgetauscht“. Die Behandlung von gleichgeschlechtlich liebenden Asylsuchenden wird zum Thema. Vor einiger Zeit wurde in Österreich ein Leitfaden publik, wie man feststellen kann, ob jemand wirklich homosexuell ist. So sollte jemand, der als nicht „genügend schwul“ – gemeint war damit wohl „genügend tuntig“ – erscheint, als heterosexuell gelesen werden. Man merkt, dass für das Stück gut recherchiert worden ist.

Danilo Jovanović (Regie, Konzept und Textkomposition) hat mit „United Fortress of Europe“ ein Stück kreiert, das eine Mischung aus Theaterspiel, Gesang und choreografierter Bewegung ist. Die Texte stammen von den Performer*innen selbst, denn bei der Physical Theater Company Side Effect, gegründet von Jovanović, steht die „kollektive, kreative und experimentelle Arbeit mit den persönlichen Inhalten der Performer*innen im Vordergrund“, wie man im Programmheft lesen kann.

In rasantem Tempo prasseln einzelne Erzählungen und Szenen auf das Publikum ein. Manches Mal möchte man in einer Übersprungshandlung lachen – das macht den ernsten Hintergrund des Abends etwas erträglicher. Theater kann wehtun, aufrütteln, politisch sein und die Stimme erheben – all das macht es an diesem Abend definitiv! Wie toll wäre es, wenn so manche Politiker*innen nicht das Bad in der Menge bei diversen Festspielen suchen, sondern diese Performance besuchen würden, wo ihnen der Spiegel vorgehalten wird. Am Ende des knapp einstündigen Abends gibt es vom Uraufführungspublikum für die Performer*innen und das Kreativteam berechtigterweise viel Applaus.
 

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