„God’s Formula“ von Diego Tortelli

Im Sog der übernatürlichen Kräfte

„God’s Formula“ von Diego Tortelli

Die Münchner Tanzuraufführung im Schwere Reiter ist dem Geheimnis des Weltalls und dem, was die Welt in ihrem Innersten zusammenhält, auf der Spur.

München, 25/10/2022

Was macht unser Universum aus? Kräfte und energetische Zustände tanzen lassen – genau das und kein bisschen weniger will die neue Tanzproduktion von Diego Tortelli. Seit 2018 arbeitet der Italiener immer wieder in München. Seine klare, sich gern hebelartig verschränkende und komplexe Bewegungssprache entwickelt sich in Choreografien weiter, die mal moderne Technologien mit einbeziehen oder auf wissenschaftlichen Theorien basieren.

Um interstellare Objekte und Konstellationen, die schon auf Keplers Rudolfinischen Tafeln auftauchen, geht es in seiner neuesten Kreation „God’s Formula“. Dazu hat das Team die Enzyklopädie der Esoterik bis hin zu Tarotkarten zu Rate gezogen, sich einschließlich des Komponisten Federico Bigonzetti aber vor allem durch das Buch „Die Gottes-Formel – Die Suche nach der Theorie von Allem“ des Stringtheoretikers Michio Kaku gearbeitet. Der Sound, der das Stück jetzt sphärisch in eine Abfolge von sich stets neu aufbauenden Klangwolken hüllt, ist in seinen intensivsten Momenten weniger was für empfindsame Ohren. Metallschlagend und stahlseilpeitschend zischt es durch den an drei Seiten für das Publikum bestuhlten Tanzflächen-Kosmos.

Man ist dem Geheimnis des Weltalls und dem, was die Welt in ihrem Innersten zusammenhält auf der Spur. Und das zum Glück ganz ohne die platte Stolperfalle billiger Wahrsager-Astrologie. Vielmehr bereiten Tortelli und seine die Produktion leitende Dramaturgin Miria Wurm dem Publikum ein höchst tanzästhetisches Erlebnis. Dieses birgt immerhin das Potenzial einer Auszeit vom Alltag.

Zum Einsatz kommen sechs tolle, ganz in sich hinein fokussierte Köperkontrollfreaks in hautfarben geriffelten Trikots: Cristian Cucco, Tom van de Ven, David Cahier, Guido Badalamenti, Minouche van de Ven und Ève-Marie Dalcourt arbeiten sich aus dem Nebel hervor – noch eng beieinander und verschachtelt im Plié. Silbern-glitzrig funkeln ihre Haare und Schultern. Fabelhaft in Szene gesetzt hat Torelli schon die Eingangsszene der Gruppe unter einem polarlichtigen Portal, das sich wie ein kantiger Urmund in die Schwärze öffnet.

Später kommen die Akteure einem befremdlich nah. Ihre Köpfe schnellen manchmal unisono abrupt in eine seitliche Neigung. Ruhe finden sie meditativ im Schneidersitz oder malen, den Blick zur Decke, mit den Leibern knapp über dem Boden Achten als Zeichen der Unendlichkeit. Mit den Händen greifen die Tänzer*innen scheinbar beständig nach etwas bzw. tragen Unsichtbares vor sich durch die Luft.

In solistischen Passagen ex- und implodieren ihre Körper wie Sterne, die unirdischen Wesen gleich in einem leeren, schwarzen Raum freigesetzt wurden. Ab und an verbinden sich zwei oder drei für kurze gemeinsame Interaktionen, während die anderen langsam rückwärts durch den Raum schreiten und Linien formen. Schön anzusehen ist das allemal und mag bisweilen an die mechanische Großartigkeit alter astronomischer Uhren erinnern. Blackout – und alle Fragen offen.

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