„Portraits and Short Stories“ von Pia Meuthen

„Portraits and Short Stories“ von Pia Meuthen

Schöpfung bis zur Erschöpfung

Der Leipziger „Tanztausch“ geht zu Ende

Aufregendes und Manieriertes: das „Tanztausch“-Festival im Leipziger Lofft offerierte auch an den zwei letzten Abenden vor ausverkauftem Saal unterschiedliche Handschriften.

Leipzig, 02/11/2016

Von Donnerstag bis Sonntag lud das Lofft zum „Tanztausch“-Festival. Dessen zwei letzte Abende jeweils ausverkauft, laut bejubelt und zudem welche der ziemlich klaren Geschlechtertrennung waren. Zumindest bezüglich der gebotenen Aufführungen. Gehörte am Samstag die Bühne ausschließlich den Frauen, standen dort zum Finale am Sonntag nur Männer. Nun kommt in Zeiten der Genderdebatten eine derartige Splittung ja beinahe schon einem Politikum gleich. Und was immer das dann unter Umständen aussagen mag: Die aufregendste Inszenierung geht ganz klar aufs Konto der Frauen. Wobei man einschränken muss, dass sich auch der sonntägliche Männerbilder-Reigen mit Trampolin, Seil und Pole-Stange ja maßgeblich einer Frau verdankt.

„Portraits and Short Stories“ ist eine Inszenierung, für die die Choreografin Pia Meuthen gemeinsam mit den Tänzern und Artisten der Company Panama Pictures verantwortlich zeichnet. Ein Stück, mit Stärken und Längen. Mit einer Musik, die, inklusive sakralen Zwischenspiels, weniger rhythmische Reduktion als vielmehr obligat blubbernde Elektro-Suada, also weniger Minimalismus als vielmehr Monotonie verbreitet. Und die dabei dennoch ihren Zweck erfüllt: Die sechs Performer nämlich in einen Reigen der Verausgabung zu versetzen. In ein zart-rabiates Auf und Ab des auch mal großspurigen, aggressiven Kraftstrotzens, mit dem sich hier die fünf Jüngeren gegen die kühler kalkulierte Kraft eines Älteren positionieren. Meuthen verfügt immer wieder perfekt getimte Bewegungsdissonanzen und dynamisch fließende Harmonien zu Variationen eines artistischen Männlichkeitsspiels um Altwerden und Jungbleiben, um Kraft und Verletzlichkeit. Um Schöpfung (hübsch der kleine Posen-Twist zu Michelangelos berühmten Bild) und Erschöpfung.

Ein Stück kontrollierten Überbordens und Raumgreifens, zu dem das den Festivalsamstag eröffnende „Lostbox“ den bestmöglichen Kontrast darstellt: eine zum Publikum hin geöffnete Kiste. Darin ein Torso in Rückenansicht, ein Menschenrumpf, aus dem in kargen Bewegungen Gliedmaßen, Hände, Finger wachsen. Gleichsam wie parasitenhafte Fremdkörper diesen Nicht- oder Restmenschenkörper erkundend. „Lostbox“ ist ein nicht nur visuell verstörendes Kurzstück (Konzept & Choreografie: Marie Goeminne. Performance: Agnese Fiocchi), das in seiner zeitlichen Reduktion, wie auch in seiner Szenerie einer schon schmerzhaften (Körper-) Beengung, die Assoziationsräume weitet.

Etwas, woran „Woman Hood Vol.1“ scheitert. Einfach, weil in der Inszenierung der Kölner Choreografin Lisa Freudenthal Requisiten, Szenen, Sätze, Metaphern und auch Tänzerin Deborah Sophia Leist selbst wie drapiert und somit allzu forciert wirken. Als Deutungsangebote installiert fürs Themenfeld weiblicher Identitätssuche und Selbstbestimmtheit. Das manierierte Repetieren von Sätzen wie „Nein, das ist nicht wahr. Das wurde euch eingeredet“ ist da nur Symptom dafür, wie im Namen inhaltlicher Programmatik eben wiederum künstlerische Assoziationsräume schrumpfen können.

Ein Vorwurf, den man in bestimmten Punkten vielleicht auch der Amsterdamer Produktion „Juxtapose“ (Regie, Choreografie, Text: Cecilia Moisio. Performance Katarzyna Starz, Cecilia Moisio) machen könnte. Nur, dass hier etwas absolut Entscheidendes diesen Vorwurf von vornherein abschmettert: Intensität nämlich. Der Furor einer grellbunten Galligkeit, mit der hier diese zwei Frauen auf der Bühne auskotzen, womit gesellschaftliche Zuweisungen Frauen eben seit Ewigkeiten mästen. Und das - nur um es gesagt zu haben - bis heute. Der Bogen, den „Juxtapose“ da von der bunten 50er-Jahre-Travestie mit Petticoat, Strapsen und Marylin Monroes „A Little Girl From Little Rock“ hin zur weiblichen (Selbst-) Zerstörungsorgie in Schwarz schlägt, hat passenderweise etwas von einer theatralen Rotation im Hamsterrad. Oder besser: von einem Durchdrehen der Frauen in diesem. Szenische Wiederholungen, Längen, Doppelungen lassen sich da kaum vermeiden - redundant sind sie aber keinesfalls, weil dramaturgisch absolut schlüssig. Ein Stück, handwerklich disziplinierter Hysterie, ganz und gar ohne (weibliches) Selbstmitleid. Ein Verzweiflungsschrei im Tonfall bösen Humors. Die aufregendste Inszenierung dieses „Tanztausch“-Festivals.
 

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