Das Gastspiel des Bolshoi Balletts in Monaco
Das Gastspiel des Bolshoi Balletts in Monaco

Das Imperium schlägt zurück

Westeuropa-Premiere: Jean-Christophe Maillots „Widerspenstiger Zähmung“

Zur Eröffnung des Russischen Jahres 2015 mit Opern- und Konzertveranstaltungen und einer großformatigen Ausstellung „Von Chagall bis Malewitsch, die Revolution der Avantgarden“ leistet sich Monaco ein dreitägiges Gastspiel des Bolschoi-Balletts.

Monte Carlo, 23/12/2014

Das war sympathisch und neugierig machend: Als letzten Freitag an einem frühlingsähnlichen Vormittag im monegassischen Grimaldi Forum mit Weihnachts-Dekoration direkt am Meer Jean-Christophe Maillot und Sergei Filin ihre Zusammenarbeit bewarben. Zur Eröffnung des Russischen Jahres 2015 in Monte Carlo mit Opern- und Konzertveranstaltungen und einer großformatigen Ausstellung „Von Chagall bis Malewitsch, die Revolution der Avantgarden“ leistet sich Monaco ein dreitägiges Gastspiel des Bolschoi-Balletts und zeigt, was der Chefchoreograf der Ballets de Monte Carlo im vergangenen Juli in Moskau inszeniert hatte. „La Mégère Apprivoisée“ („Der Widerspenstigen Zähmung“) war nach Auskunft russischer Kolleginnen zum Erfolg geworden. Tatsächlich ist es das erste Mal, dass das Bolschoi-Ballett einen ausländischen Gast um die Kreation eines abendfüllenden narrativen Tanzwerks gebeten hatte und es war auch tatsächlich das erste Mal, dass Maillot für ein „fremdes“ Ensemble eine Uraufführung entwickelte und nicht, wie etwa seine immer noch gültige „Roméo et Juliette“-Choreografie, anderswo einstudierte. Im Februar 2015 kommt diese Inszenierung als England-Premiere mit dem Northern Ballet in Leeds heraus.

Beim Pressegespräch in Monte Carlo schwärmte Bolschoi-Ballettchef Filin von Maillot so sehr, dass diesem nahezu die Schamesröte ins Gesicht zu steigen schien. Immer wieder habe Maillot gefragt, warum ausgerechnet er für einen solchen Auftrag „verpflichtet“ worden war. Die Idee dazu soll anlässlich eines monegassischen Staatsbesuchs und einem damit verbundenen Gastspiel der Ballets de Monte Carlo mit Maillots „Schwanensee“-Interpretation „Lac“ in Russland aufgekommen sein. Shakespeares „Widerspenstige“ hatte er bereits seit mehr als zwanzig Jahren im Hinterkopf, erzählte Maillot launig, und diese Frauenfigur, die er als besonders selbstbewusst und keineswegs als eine zu zähmende Persönlichkeit zeigen will, denn das wäre ja nun wirklich nicht mehr zeitgemäß, war von Anfang an für seine herausragende Ballerina reserviert: Bernice Coppieters, die am 31. Dezember mit dem Auftritt als „Tod“ in Maillots „Faust“-Ballett ihren Bühnen-Abschied nehmen wird. Für den „Faust“ war Maillot 2008 in Moskau mit dem „Prix Benois de la Danse“ ausgezeichnet worden. In der Tat hat die ungewöhnliche gestalterische, immer wieder auch prickelnd exaltierte Darstellungs-Wucht der Coppieters zahlreiche Maillot-Ballette ausgemacht. Ihre Androgynität ist dabei von besonderem Reiz. Im drei Monate währenden „Unternehmen Moskau“ war Coppieters Maillots Assistentin und übersetzte seine Vorstellungen für die Tänzer und da wohl in erster Linie für Ekaterina Krysanova, die schmale, rothaarige, Herausforderung ausstrahlende Tänzerin der Titelrolle. Nicht unkokett meinte Maillot (54) nun vor der Presse, dass er schließlich nicht mehr der Jüngste sei und es ihm seltsam erschienen wäre, alles selbst vorzuzeigen...

Abends im Salle des Princes: Russische Politik ist angereist, großes Abendkleid angesagt, aus der Fürsten-Familie singen Caroline und Albert die Hymne der Monegassen, das Publikum hat sich erhoben, einzelne Männer stehen stramm. Und dann die Überraschung, die für Westeuropa mit Sicherheit eine andere ist als sie in Osteuropa im Sommer war: Jean-Christophe Maillot hat eine mäßig vergnügliche, neoklassische Komödie in zwei Akten geschaffen, die zwar spritzig bis fulminant getanzt wird, aber trotzdem nicht so recht zünden will. Zum Einen liegt das an der musikalischen Zusammenstellung aus Werken von Dimitri Schostakowitsch, die, vom Philharmonischen Orchester aus Monte Carlo unter Igor Dronov gespielt, zwar das szenische Geschehen mit charakterisiert, letztlich aber keinen großen dramatischen Bogen formt. Minuziös sind die 80 Minuten aus Werken wie „Hamlet“ und Symphonien aber auch Filmmusik kompiliert. Unerwartet wirkt vor allem die Schluss-Szene zu „Tea for Two“. Schostakowitsch hatte den heute als Jazzstandard bekannten Song 1928 in Moskau orchestriert. Seine breit klingende Version leitet das versöhnliche Ende ein, das Katharina und Petruchio, Bianca und Lucentio und das Ensemble einander imaginäre Teetassen reichend zeigt. Zum Andern weist die szenische Dramaturgie von Jean Rouaud wenig Originelles auf. Die Ausgeklügeltheit, die man von Maillots großen Balletten kennt, vermisst man hier. Mit großen Schritten werden die widerspenstigen Charaktere zueinander geführt, das sanfte Paar nähert sich lyrisch in Adagio-Form, drum herum ein drolliger Diener Petruchios, ein weiß gesträhnter Vater, sprunggewaltige junge Herren, Corps de ballet-Paare. Allein die Spielmacherin, preziös getanzt von Anna Tikhomirova, die den Abend mit langer Zigarettenspitze eröffnet und immer wieder, quasi einer 20iger Jahre-Diva ähnlich, den Fortgang des Geschehens unterstreicht, liefert den Rahmen einer strategisch vorgeführten Unterhaltung. Gut möglich, dass es diese Garconne ist, die als Moderatorin dem Zuschauer mit der Paar-Bezwingung von Katharina und Petruchio eigentlich zeigen soll, was eine emanzipierte Frau mit einem Mann auf Augenhöhe anzufangen weiß.

Maillots Szenograf Ernest Pignon-Ernest setzt auf formschöne Praktikabilität ohne Schnickschnack, auch die Kostüme von Augustin Maillot muten wie leicht hingeworfen an. Das Bühnenbild besteht aus einer großen weißen Treppe zu Beginn, die später auseinander geschoben wird, ein paar Säulen, ein paar Sitz-Kuben, die von den Tänzern selbst jeweils arrangiert werden. Was die Choreografie betrifft, wird man den Eindruck nicht los, dass da zu wenig Zeit war, um die Bolschoi-Tänzer zu „maillotisieren“. Sie wirkt vielmehr so, als hätte man nach zahlreichen Einzel-Proben das Stückwerk zusammengesetzt und nunmehr eine letztlich liebenswerte, etwas altmodische Inszenierung vor sich, die einen weiteren Arbeitsprozess verdienen würde. In Erinnerung geblieben sind vor allem die Unverträglichkeiten zwischen dem Hauptpaar. Sowohl Krysanova als auch Vladislav Latrantov bleiben sich an Kratzbürstigkeiten nichts schuldig. Nahezu Ashton-Qualitäten erreicht Maillot mit einem Liebes-Duett für Bianca und Lucentio, das von Anastasia Stashkevich und Semyon Chudin eindrucksvoll zelebriert wird. Trotzdem wird man den Verdacht nicht los, dass das Ensemble, zwar von unbestreitbarer Qualität, bei der Rollengestaltung immer wieder auf altbekannte Schemata zurückgegriffen hat. Aber genau genommen wäre es auch fast ein Wunder, wenn in wenigen Wochen ein Maillot so herausgekommen wäre wie er wohl mit bester Absicht ins Bolschoi hineingegangen war. So als hätten die Umstände eines solch großen Repertoire-Hauses den Riegel vorgeschoben vor dem endgültigen Durchbruch. Wenn man so will, hat sich das Bolschoi-Ballett als durchaus widerspenstig erwiesen. Und der Schluss-Satz Filins beim Pressegespräch macht nun doppelt Sinn. Es sei die Ambition der Tänzer und Tänzerinnen, das, was Maillot wollte, noch stärker herauszubringen.
 

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern