Tanz in Bern
Tanz in Bern

Künstler sind Staubsauger

Ein Zuschauer-Blog zu „HOLIDAY ON STAGE - last days of luxury“ von Martin Schick und Damir Todorovic

Eindrücke junger Zuschauer zur Vorstellung bei Tanz in Bern

Bern, 25/10/2013

Das Festival „Tanz in. Bern“ in der Dampfzentrale Bern zeigt während zwei Wochen nationales und internationales zeitgenössisches Tanzschaffen. Die Festivalausgabe 2013 besinnt sich auch Qualitäten des Tanzes - auf seine Poesie, sein handwerkliches Geschick, seine formale Vielfalt und nicht zuletzt auf bewegende Körper bewegter Menschen. Begleitend zum Festival schreiben Studierende der Hochschule der Künste Bern über die Aufführungen. Unter der Leitung der Dozentin Maren Rieger schärfen die Studierenden des Fachbereiches Theater ihre Wahrnehmung und beschreiben für sie besondere Momente auf und neben der Bühne: frech und subjektiv.


Die Inszenierung „HOLIDAY ON STAGE - last days of luxury“ von Martin Schick und Damir Todorovic, soweit anhand der Aufführung am 22. Oktober 2013 in der Dampfzentrale zu beurteilen, bietet mir als Zuschauer einen amüsanten Abend, der eine klare kritische Haltung und Meinung der Protagonisten gegenüber des kapitalistischen Gesellschaftssystems veräußert, mir aber keinen Raum bietet das System und mich als Teil dessen zu hinterfragen, respektive mir Fragen zu stellen, die ich auch nach dem Abend noch mit mir herumtrage.
Frederik


Das Programm zu „Holiday on stage - last days of luxury“ verspricht eine Auseinandersetzung mit „Machtmechanismen und Verführungskräfte des Kapitalismus“. Leider bleibt diese Auseinandersetzung sehr an der Oberfläche. Daher fällt auch die „Diskussion über künftige Politik, menschliche Ökonomie und Cyber-Feudalismus“ aus, da nicht genügend Stoff angereichert wird, um so eine Diskussion ins Rollen zu bringen.
Max


Der Abend skizziert die westlichen Unterhaltungsmöglichkeiten, die Frage nach dem „Luxuskünstler“ und verwendet hierbei vor allem Zitate. Dies gibt dem Ganzen einen absurden Charakter.
Bemerkenswert ist hierbei die Unaufwendigkeit oder gar die Langeweile, mit der die beiden Haupt - ja was sind sie eigentlich? Performer? „Upper class artist“ - Darsteller? den Abend gestalten, andeuten. Als Beispiel die Preisverleihung zu Anfang. Das Objekt, welches einem gläsernen Fahrradhelm gleicht, wird überreicht, ohne dass der Zuschauer weiß, ob dies nun schon dazu gehört. So wird er unauffällig in das Stück und dessen Thematik hinein verführt.
Sue


Zwei Männer auf der Bühne, im Anzug, spielen ein Spiel. Sie fordern sich gegenseitig zu Aktionen auf: „Lets do something... beautiful“, zum Beispiel. Daraufhin ziehen sich die Beiden bis auf die Unterhose aus, legen sich auf den Boden, Gesicht nach unten, Arme kunstvoll ausgestreckt. Für drei Sekunden erklingt stimmungsvolle Klaviermusik, der Anfang von „Spiegel im Spiegel“ von Arvo Pärt. Dann Stille, der kurze Moment ist vorbei. Die Performer ziehen sich wieder an, als ob nichts geschehen wäre. Dieses in der Aufführung oft verwendete Mittel, löste in mir immer Neugier nach mehr aus und blieb selbst dann noch hängen, als die Performer die Bühne schon längst applauslos verlassen hatten.
Lisa


Während der Aufführung führten Martin Schick und Damir Todorovic immer wieder kleine Wettbewerbe durch. Teils auch mit eingeführten Darstellern, welche sich als „Artists“ bei ihnen vorstellten. Ein konstruiertes Konkurrenzspiel der Akteure spiegelte für mich die tatsächliche Situation, in der sich Künstler in unserer Gesellschaft befinden. Durch bestimmte Fragen, die sich zum Beispiel auf Solidarität bezogen, wurde eine ironische Sichtweise zu der tatsächlichen Konkurrenzsituation untereinander geschaffen.
Lea


Diese Aufführung lebt sehr stark von Momenten der Wiedererkennung und zieht mich als kunstschaffende Zuschauerin direkt in das inhaltliche Suchen und Kreieren hinein. „Let‘s talk... did you know... let`s play a game...“ hier wird wahrlich nach Spreng-/Stoff gesucht, mit dem ich auf einer Bühne arbeiten kann, mit dem ich das Publikum triggern kann, mit dem ich unsere gegenwärtigen gesellschaftlich ökonomische Begebenheiten, angepasst an die „globale Kommunikation“ (hier Englisch), kreativ nutzen kann. Selbst in der freien Zeit ist der Künstler demnach damit beschäftigt neue Projektideen zu sammeln; oder gar aus rein finanziellen Gründen gezwungen seine Ideen zu kommerzialisieren. So reiht sich der eine oder andere Künstler in den globalen Kapitalismusstrudel ein - ganz frei nach dem Motto: Auch Ferien müssen sinnvoll genutzt werden. Letztendlich bleibt die Hoffnung zumindest auf der Bühne einmal Ferien spielen zu dürfen beziehungsweise dem Ferienspiel in diesem Fall zuschauen zu können.
Johanna


Künstler sind Staubsauger
Ein Mann sucht nach Müll, der auf der Strasse rumliegt, packt ihn in einen Staubsaugerbeutel und versucht diesen Beutel zu verkaufen. Wenn er einen Käufer finden, wird er in Form eines Staubsaugers bezahlt. Nun hat
er es einfacher den Müll aufzusaugen und den Staubsaugerbeutel zu verkaufen. Dann tanzt der Staubsauger über den Dreck, der von der Party liegengeblieben ist. Er tanzt allein, weil er sowieso automatisch funktioniert und sein Besitzer noch schläft. Ein Künstler ist aber nur einer, der einen Staubsauger hat.
Simon


Warum willst Du eine Künstlerin sein?
Warum man es nicht werden sollte, zeigt Martin Schick, der als Upper Class Artist zusammen mit seinem Arbeitspartner Damir Todorovic Preise abräumt und dabei nichts als Stupfsinn produziert. Der Stimorolkaugummi schmeckt bitter, die Aussage des Abends ist so klar und deutlich auszumachen wie die Logos der Sponsoren auf der Bühne. Der Kunstmarkt fault, the winner takes it all, leider.
Cecilia


Bereits beim Einlass mit einer Promotionpackung Kaugummi versorgt blickt man über eine leere Bühne auf die Logos der Förderer der Performance. Zwischen den Namen diverser Produktionshäuser und Stiftungen scheint auch das Logo des Kaugummiherstellers auf. Und ein bekannter Lifestylekonzern, der sein Kerngeschäft im Energydrinksektor hat. Offensichtlich hat das Theater schon lange angefangen und irgendetwas scheint hier nicht zu stimmen. Ein Gefühl, dass sich noch öfter an diesem Abend einstellen wird.
Valentin


„Holiday on Stage“ lebt von zwei bemerkenswerten Brüchen. Der schweifende Übergang ausgehend von einer Willkommensrede und Preisübergabe an die zwei Hauptperformer Martin Schick und Damir Todorovic mit standartgemäßem Publikumsapplaus bis hin zum eigentlichen Aufführungsbeginn, setzt dem Zuschauer eine tragende Rolle in der Aufführung auf. Zuerst wird gewohnt applaudiert und während oder unmittelbar danach realisiert: die Preisübergabe ist ein Fake, der Applaus nicht mehr echt, der Zuschauer spielt mit.
Im Vergleich zum spontan wirkenden und angedeuteten Spiel der zwei Hauptperformer, wirkt die Tanzeinlage von Moonsuk Choi, welche in einer anderen Zeitspanne ausgeführt wird und sich dem gewohnten Verhalten eines modernen Menschen entzieht, herausragend und wertvoll.
Diese Brüche werfen zwei Fragen auf. Wer macht während der Aufführung Kunst? Und welchen Wert geben wir welcher Kunst?
Nina
 

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