Catwalk der Todgeweihten

Derevo mit dem neuen „Totentanz“ in der Schaubühne

Leipzig, 16/08/2011

Die Europäische Totentanz-Vereinigung wählt den Totentanz des Monats. Klingt makaber? Soll es auch. Der Danse Macabre entstand als Kunstform im Mittelalter und pendelt zwischen Angst und Lust am Tod. Die Idee, den Tod als Tanzmeister anzusehen, entstand in Folge der Pestepidemien und manifestierte sich in Wandgemälden an Friedhöfen. Ein besonderes ist der „Dresdener Totentanz“, heute aufgestellt in der Dreikönigskirche. Ein Projekt widmet sich dem Bildwerk mit Ausstellungen, Vorträgen und Tanz und arbeitet mit der Hellerauer Truppe Derevo zusammen. Das Dresdener Relief hat einige Besonderheiten: Zum einen ist es plastisch, zum anderen wird der Totentanz als Reigen tanzender Menschen, angeführt vom personifizierten Tod, dargestellt. Gute Anknüpfungspunkte also für die Derevo`sche Art der Performance. Nach den umjubelten „Totentanz“-Produktionen von 2001 und 2007 kamen sie nun mit „Totentanz III“ am Wochenende in die Schaubühne Lindenfels. Dass Derevo regelmäßig dort spielt (das nächste Mal im Dezember), ist eine beachtliche Bereicherung für die Leipziger Szene.

Dieses Gastspiel war vor allem bühnentechnisch eine Herausforderung. Die Uraufführung fand in der Kirche vor dem Totentanz-Relief statt. Dies ersetzt ein überdimensionales Transparent von Susanne Kempler. Die Anordnung der Stuhlreihen auf drei Seiten, macht den sakralen Raum spürbar. Dadurch ergibt sich eine überaus lange und große Bühne, die den riesigen Saal der Schaubühne erfahrbar macht.

Schon beim Eintritt schlurft Derevo-Gründer Anton Adassinski als Nachtwächter-Figur mit klackendem Schlüsselbund durch die Reihen. Figuren aus verschiedenen Zeiten bewegen sich in einem Catwalk der Todgeweihten auf ihn zu, immer den endlosen Gang in anderen Stilen tänzelnd ausnutzend. Vado mori. Sie überlassen ihm Bilderrahmen und damit ihr Selbst, ihre Seele als Bildnis. Adassinski zwängt seinen Körper in die Rahmen und hat immer schwerer an der Last zu tragen, verheddert sich in den ausgelöschten Leben. Auch der Tod ist nur Diener eines höheren Prinzips. Es ist der Auftakt zu einer Reihe von Bildern, die seltsam unverknüpft daherkommen. Was sich sonst bei Derevo durch assoziative Ketten fügt, steht nebeneinander und kommt nicht in Fluss. Die Nummern sind zu ausgespielt, zu wenig entschlackt. Einzeln aber erschaffen sie überspannte, tiefe, schauerliche Bilder. Etwa wenn Pavel Alekhin durch einen Grimm'schen Tanz tausender Kerzen (wieder)geboren wird und hernach alle Stationen seines Lebens im Zeitraffer durchlebt. Der Strom des Lebens, dargestellt mit körperlicher Virtuosität durch schier ewiges Laufen auf der Stelle. Alle Erlebnisse zwischen Himmel und Erde, schwarz und weiß begegnen dem Protagonisten, verführen ihn und gehen vorüber, verschwinden am Horizont. Bis endlich der Tod erscheint. Er ist eine Frau und trägt eine Hellebarde, dazu ein knallrotes Minikleid im Landsknecht-Stil. Ihre Bewegungen sind überlegen, ironisch, verspielt, nicht an den Lauf der Dinge gebunden. Sie holt ihn, holt ihn ein in seinem unweigerlichen Wettlauf des Lebens. Eindrucksvoll, bedrückend, mitreißend! Bei Derevo wird klar, was Theater kann: Es versetzt in andere Räume, nimmt mit auf eine Reise – und sei es in die Unterwelt und wieder zurück.

Was diesmal nicht glückte, war jenes Überzeitliche, Mythische, was sonst den Figuren und Szenen anhaftet. Sie sind individuell, tragisch – christlich. Die maßlose und einseitige Aufgeladenheit mit christlichen Symbolen (von Selbstgeißelung über Evas Apfel bis zur Jesus-Figur) ist wohl Thema und Anlass der Inszenierung geschuldet, beraubt Derevo auf der Bühne aber einer Dimension.

www.derevo.org
www.schaubuehne.com

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern