Zeitnah zeitloses Tanztheater (nicht nur) zur Osterzeit

Sven Grützmachers „Passion“

Trier, 28/03/2010

Nachdem am Freitag in Koblenz Anthony Taylors „Johannes-Passion“ in einer monumentalen, neo-klassischen Aufführung unter Beteiligung der Musiker an der szenischen Gestaltung auf der Bühne Premiere hatte, stellte Sven Grützmacher in Trier am folgenden Abend sein Tanztheater „Passion“ vor.

Es unterscheidet sich von den bisherigen Passions-Balletten seit John Neumeiers „Matthäus-Passion“ vor über 25 Jahren durch die enorm aufwändige, vorzügliche musikalische Collage aus barocker und zeitgenössischer Musik, die sich aus der mutigen Fragestellung ergab: Was wäre wenn… heute der Messias wiederkehrte? Neben Auszügen aus Bachs und Schütz‘ „Johannes-Passion“ sowie Händels „Messias“ sind Kompositionen etwa von Alfred Schnittke, Steve Reich und Wolfram Huschke zu hören, hervorragend gesungen vom Opernchor und Solisten des Musiktheaterensembles und gespielt vom Philharmonischen Orchester unter dem jungen Finnen Valtteri Rauhalammi.

Das eineinhalbstündige pausenlose Szenario (Libretto: Peter Larsen) spielt sich in einer abbruchreifen Bahnhofshalle ab. Im Off rauschen Züge oder U-Bahnen vorbei. Im Prolog ist im Halbdunkel der scheinbar leeren Halle der Leichnam eines Erhängten – des Gekreuzigten - auszumachen. Voll Verzweiflung trauern seine Mutter (Erin Kavanagh) und das gläubige Mädchen (Hannah Ma, singend als „Hoffnung“: die Sopranistin Evelyn Czesla). Ein „tausendjähriger Prophet“ (der Bassist Marek Gasztecki) versucht, sie zu trösten.

Leben erwacht ringsum. Menschen hasten hin und her, warten auf den Bänken. Obdachlose schlafen zusammengerollt am Boden. Ein junger Mann (Messias: David Scherzer) – barfuß, in Jeans und verschlissenem Pulli - tritt unauffällig auf, kümmert sich um die Müden, Hungrigen, Kranken, Armen – wird angepöbelt, verhöhnt, zusammengeschlagen – und schließlich als ein ganz Besonderer erkannt. Wo immer er auftaucht, schwingt die Masse jubelnd Fähnchen, hält Transparente hoch, berührt und umarmt ihn verzückt: „We trust in him“. Jesus, der Pop-Star (statt Lloyd Webbers zündendem Musical-Sound in „Jesus Christ Superstar“ hier aber Passagen aus Steve Reichs „Drumming“ und Heinrich Schütz‘ A-capella-Passion). Da wird der Messias zornig, verbrennt Fähnchen und Transparente, wird deshalb festgenommen, von Pilatus (Tenor Peter Koppelmann) verhört, brutal mit einer Stacheldrahtrolle gekrönt und ermordet.

Schlimm bestellt ist es um die Nächstenliebe, heute wie damals. Einzige Hoffnung, so Librettist Larsen im Programmheft, bietet der individuelle Glaube an dieses „Ich weiß, dass mein Erlöser lebet“. Dem Ballettchef Sven Grützmacher, nach glänzender Tänzerkarriere (z.B. als Birgit Scherzers „Kaspar Hauser“ in Saarbrücken) seit 2004 in Trier und mittlerweile auch erfolgreicher Opernregisseur, ist hier mit dem großen Ensemble eine glänzende, ehrliche, zeitnah-zeitlose, spartenübergreifende Inszenierung gelungen.

www.theater-trier.de / www.theater-koblenz.de 

 

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