„Welcome to watch what you think you see!“

Schon in „Artifact“ zeigte Forsythe, was Ballett heute sein kann

Ludwigshafen, 26/11/2009

„Artifact“ in voller Länge, das Meisterwerk aus dem Jahr 1984, mit dem die Epoche begann, in der das Frankfurt Ballett unter der Leitung von William Forsythe mit seiner Innovationskraft auf die ganze Welt ausstrahlte! Vor fünf Jahren ging das Goldene Ballettzeitalter in Frankfurt zu Ende, und 25 Jahre alt ist „Artifact“. Noch bevor dieses große Ensemblestück am Bayerischen Staatsballett zum Auftakt der Ballettfestwoche 2010 sein neues Zuhause in Deutschland bekommt, brillierte das Königliche Ballett von Flandern damit bei den Festspielen in Ludwigshafen. Die Kompanie aus Antwerpen rief bei ihrem Gastspiel im Theater im Pfalzbau schnell die Anerkennung dafür wach, wie hochprofessionell „Artifact“ vom Beginn der Forsythe-Ära war.

Da geht die hochgespannte Technik virtuoser Tänzer vielfache Beziehungen mit atmosphärischen Beleuchtungswechseln ein, mit dynamisch antreibender Musik, live gesprochenen Texten, Theaterelementen und – natürlich! – einer hellwachen Analyse der Traumwelt des Balletts durch den Dekonstruktivisten William Forsythe. Mit seinen vier Akten steht „Artifact“ in direkter Nachfolge des klassischen Balletts. Aus dem Chaos der Probenarbeit, die vor Augen führt, wie aus wenigen Grundelementen des akademischen Tanzes ein theaterwirksames Stück entsteht, entwickeln sich Myriaden faszinierender Formationen. Tendu, Rond de jampe und Port de bras verändern sich in ihren Wiederholungen, münden in elegante Épaulements mit anmutigen Biegungen der Oberkörper. Posen und Schrittfolgen der Solisten spiegeln sich in denen des Corps de Ballet. Die geniale Aufteilung des Raums korrespondiert der Liebe des Choreografen zur Architektur der Tänzerkörper. Reinen Tanz erlebt man im 2. Akt zu Bachs „Chaconne in d-moll“ in einer radikal übersteuerten Aufnahme des Violinisten Nathan Milstein. Dabei tanzten zwei souveräne Paare des Royal Ballets of Flanders, von wechselnden Gruppierungen des Corps de ballet flankiert, die Pas de deux mit schneidender Dynamik. Die übrigen drei Akte werden mit Klaviermusik von Eva Crossman-Hecht vorangetrieben, die Margot Kazimirska live wunderbar spielte. Ständig faszinierte, wie musikalisch alle Tänzer jede Bewegung durch den ganzen Körper fließen ließen. Unter Kathryn Bennetts Leitung, die nach ihrer Karriere als Solistin beim Stuttgarter Ballett und beim Australian Ballet lange Assistentin von William Forsythe war, wurde das Königliche Ballett von Flandern zu einer Topadresse. In „Artifact“ zeigte sie jeden Aspekt dieser Produktion in allen Details authentisch. So landete das Theater im Pfalzbau mit diesem Gastspiel einen großartigen Erfolg und könnte das Royal Ballet of Flanders gern noch einmal einladen, denn die hat mit „Impressing the Czar“ (1988) ein zweites frühes Signaturstück von William Forsythe in ihrem Repertoire.

Jedenfalls: München kann sich im nächsten Jahr auf „Artifact“ freuen: Eine grandiose Maschinerie aus ihrer Achse verschobener Fundamente des klassischen Tanzes, traumartig durchwandelt von einer Dame in historischem Kostüm (Kate Strong), die mit knappen Worten repetitiv die Vergangenheit des Balletts verkörpert, und ihrem Antipoden, dem Mann mit Mikrophon. Nicholas Champion, der diese Rolle kreierte, wird dann auch wieder dabei sein. Beide waren souverän, ebenso wie Eva Dewaele als graue „Schlammfrau“, die cool improvisierend das aufmerksame Corps de ballet lenkte.

www.theater-im-pfalzbau.de

www.koninklijkballetvanvlaanderen.be

www.theforsythecompany.de

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