Zeitkritik und Bewegungsexperiment

Akram Khans Gruppenstück „bahok“ leitet warmherzig menschlich den „Tanz im August“ ein

Berlin, 18/08/2008

Mit drei gegensätzlichen Produktionen startete das Berliner Festival „Tanz im August“ in seine 20. Saison. Der warmherzig menschliche Auftakt verdankt sich einem der führenden Innovatoren zeitgenössischen Tanzes: Akram Khan. Dass den in London Geborenen, mit Wurzeln nach Bangladesh, migrantische Themen reizen, liegt nahe; dass er dazu den indischen Kathak, in dem er ausgebildet wurde, mit zeitgenössischen Techniken mixt, macht seine Handschrift originell. Als Solist brilliert er, nie zum Selbstzweck, mit Tempo und Dynamik und sucht für seine Kompanie entsprechend virtuose Tänzer.

Die fand er diesmal im Nationalballett China. Gemeinsam mit den koreanischen, indischen, slowakischen, südafrikanischen und spanischen Mitgliedern seiner Truppe erzählen sie, was passieren kann, wenn man auf einem Flughafen festsitzt. „bahok“, Flugzeugträger in Bengali, zwängt acht Reisende unfreiwillig zur Gemeinschaft zusammen – Zeit, in Kontakt zu treten. Jeder denkt zuerst an das, was ihm Heimat bedeutet: Geburtsort, Familie, die mitgeführten Schuhe des Vaters, Erinnerungen. Sprachbarrieren tun sich auf, Ignoranz des Anderen gilt es zu überwinden. Eine Frau will reden, keiner mag ihr zuhören, keiner einen Zettel mit ihrem Namen haben. Eher flüchtet man sich ins Fotografieren und Telefonieren.

In explosiven Soli brechen sich Gefühle Bahn. Nationales Idiom mischt sich dazu mit modernem Vokabular, bis die Ballettsequenzen der Chinesen das Eis der Distanz schmelzen lassen. Luft, Wasser, Feuer, Erde übertitelt Khan diese Teile. Erst nach einer Schlägerei, in der die Ablehnung des Fremden kulminiert, finden sich alle in der Gruppenumarmung, die bald wieder in die Separation aufgesprengt wird. Mit home und hope, Heimat und Hoffnung, spielt da die Anzeige über den Köpfen der Sitzenden.

Entschieden verkopfter arbeitet VA Wölfl mit seiner Düsseldorfer Gruppe Neuer Tanz. „12/… im linken Rückspiegel auf dem Parkplatz von Woolworth“ imitiert 90 Minuten lang das Popmagazin eines Soldatensenders, der zwischen banalen Songs Kriegsnachrichten aus Afghanistan und Irak verkauft. Den studierten Maler Wölfl interessiert dabei freilich nicht der Tanz, sondern medialer Zynismus. Ein Gerank aus verschränkten Gerippen fährt langsam wie ein durchsichtiger Schleier an dem durchgestylten Lifekonzert der acht puppenhaften Interpreten mit ihren standardisierten Bewegungen und Posen vorüber. Gut gemeinte, dennoch schwer verdauliche Kost.

Ums blanke Experiment geht es in zwei Kurzstücken dem Franzosen Boris Charmatz. Auf zwei knapp bemessenen Drehscheiben setzt er sich und eine Partnerin in bizarren Figuren der Fliehkraft aus, wie sie eine in ihre Einzelteile zerlegte Waschmaschine beim Schleudergang erzeugt – bis der Drehschwung die Körper abwirft. „Aatt enen tionon“ schließlich unterzieht drei nackte Tänzer auf den hölzernen Ebenen eines Gerüsts physischer Revolte auf geringstem Raum. Verbunden bleiben die Individuen lediglich durch den Klang ihrer krachenden Stürze. Gastspiele von Rachid Ouramdane, Nasser Martin-Gousset, Trisha Brown, Dave St-Pierre über slowakische Folklore bis zum Ballet de Lorraine und dem Ballett Dresden versprechen neben Vielfalt auch anregend kontroverse Erlebnisse.

Link: www.tanzimaugust.de

 

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