Verloren zwischen Sprache und Bewegung

Akram Khans neues Stück „bahok“ für chinesische und westliche Tänzer im Tanzhaus NRW in Düsseldorf

Düsseldorf, 04/04/2008

Zwei beinahe gleich alte europäische Choreografen „mit Migrations-Hintergrund“ zählen derzeit zu den Stars der zeitgenössischen Tanzszene. Der eine heißt Sidi Larbi Cherkaoui; der 32-jährige Belgier mit Eltern aus Marokko hat die Tanzwelt in den letzten Jahren mit einigen grandiosen Choreografien bereichert. Der andere heißt Akram Khan, auch er ständig in aller Munde. Akram Khan hat einen britischen Pass und Eltern aus Bangladesh. Der 34-Jährige, der in London den nordindischen Tanzstil Kathak studiert hat, mit 14 in Peter Brooks „Mahabharata“-Produktion auftrat und letztes Jahr mit einer Arbeit für die Ballerina Sylvie Guillem Schlagzeilen machte, ziert das Titelblatt der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift „ballettanz“ und macht gerade Furore mit einem in Peking uraufgeführten Stück namens „bahok“, für das er drei Mitglieder des National Ballet of China (Meng Ning Ning, Wang Yitong, Zhang Zhenxin) und einen koreanischen Tänzer mit vier westlichen Tänzern zusammengespannt hat.

Das 75 Minuten dauernde Stück zu einer chinesische, indische und westliche Klänge koppelnden Musik von Nitin Sawhney hatte soeben im Tanzhaus NRW in Düsseldorf seine Deutschlandpremiere und geht danach auf Tournee nach Bozen, Zürich, Chur, Genf, Neuchatel, Brighton, Birmingham, Glasgow, Lissabon, Paris, London und Montpellier; im August wird es in Frankfurt im Künstlerhaus Mousonturm und beim Tanzfestival in Berlin zu sehen sein.

Die Vokabel „bahok“ bezeichnet im Bengalischen einen Lastenträger; die Aufführung, die sich hinter dieser Vokabel verbirgt, besteht im Grunde aus zwei Stücken. Das eine dieser Stücke artikuliert sich sprachlich und kreist um zwei Themen. Das eine dieser Themen ist, wie vehement der Autor selbst dies auch in Interviews bestreiten mag, das alte Problem des Turmbaus zu Babel: die Sprachenvielfalt und die Schwierigkeit, sich dem Gegenüber in einer Sprache verständlich zu machen, die dieser nicht versteht; da hat das Stück immer wieder mal seine komischen Seiten. Das zweite Thema ist die Frage nach der Herkunft und der Heimat des Menschen, nach dem Woher und Wohin; mit Komik ist da nicht viel auszurichten.

Gleich zu Beginn versucht sich vorn links an der Rampe die zierliche Spanierin Eulalia Ayguade Farro in englischer Sprache einer der beiden chinesischen Tänzerinnen verständlich zu machen. Doch die muss so tun, als verstünde sie nur Bahnhof, woraufhin die Spanierin mit einer immer hysterischer werdenden Suada ans Publikum reagiert. Später spielt sich ein ähnliches Stück des aneinander Vorbeiredens und Nichtverstehens auf der linken Bühnenseite zwischen der Südafrikanerin Shanell Winlock und dem Koreaner Young Jin Kim ab. Immerhin bekommt sie aus ihm heraus, woher er stammt, und mit der Zeit nimmt der Fragerin auch ein Automat die Arbeit des Übersetzens ab: Auf einer großen Anzeigetafel, welche die Bühnenbildner Fabiana Piccioli, Sander Loonen und Akram Khan hoch über den Köpfen auf der leeren, sonst nur einem Dutzend Stühlen bestückten Bühne aufgehängt haben, erscheint die Übersetzung der koreanischen Sätze Kims in englischer Sprache. Die Anzeigetafel spielt für die sprachliche Hälfte von „bahok“ eine wichtige Rolle. Zunächst produziert sie unter gewaltigem Rasseln nur Buchstabensalat, aus dem schließlich nacheinander tröstende Verweise hervorgehen: „Please wait“; „Rescheduled“, „Delayed“; offensichtlich geht es auf dem Flughafen, auf den Akram Khan sein Ensemble geschickt hat, ähnlich zu wie derzeit auf dem neuen Terminal V in Heathrow. Später werden sich aus dem Buchstabensalat auf der Anzeigentafel, immer in englischer Sprache, die Wörter für die vier Elemente bilden – Luft, Erde, Feuer und Wasser – und, ganz am Ende, wage Aussichten auf eine bessere Zukunft: „Home – Hope – Home“.

Wenn sie sich nicht unterhalten und wenn auch der Inder Saju keine Monologe mit seinem Handy führt (wobei er sich meistens der Attacken der Spanierin zu erwehren hat), zeigt mindestens einer der Tänzer, wie fabelhaft explosiv er sich bewegen kann. Unter ständiger Einbeziehung des Bodens kobolzen sie über die Szene: mehr artistisches Bodenturnen als Modern Dance. Die meiste Zeit über ruht sich der Großteil des Ensembles aus, während sich ein Individuum produziert; nur einmal, gegen Ende hin, bewegt sich die komplette Truppe auf einer großen Kreisbahn. Eine einzelne, am Ende mit Szenenbeifall bedachte Sequenz, fällt aus den übrigen Bewegungsspielen heraus. Eine der groß gewachsenen Chinesinnen hängt sich kopfunter an den Serben Andrej Petrovic, um schließlich, als er zu Boden geht, wie eine indische Göttin auf ihm zu landen; gemeinsam betreiben die beiden alsdann, zu einem romantischen chinesischen Popsong, ein vierarmiges Ritual von betörender Schönheit.

Doch so gelungen manche Sequenzen von „bahok“ auch sein mögen, so virtuos sich die acht Tänzer auch bewegen: Insgesamt ist das Stück, der imposanten Vorausreklame zum Trotz, eher verunglückt. Der sprachliche und der Bewegungsteil haben nichts miteinander zu tun; sie kommentieren einander nicht einmal, sondern leben nur irgendwie nebeneinander her; meistens wirkt der Tanz, als versuchten die Tänzer mit ihm Augenblicke der Leere zu überbrücken. Die großen Themen aber, die Akram Khan zu behandeln behauptet, werden gerade nur angetippt. Wie schon die Begegnung mit Akram Khans Stück „Ma“, das vor einigen Jahren unverständlicher Weise die Mehrzahl der Kritiker zu Elogen verleitete, wird auch die mit „bahok“ letztlich zu einer gelinden Enttäuschung.

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