Höher, weiter, komplizierter, sensationeller

Grandios geglückter „Swan Lake“ der Guangdong Acrobatic Troupe

München, 26/12/2008

Höher, weiter, komplizierter, sensationeller - „homo ludens“, der Mensch, dieses tolle Spieltriebgeschöpf hat eben eine grenzenlose Funktionslust. Wie sonst käme man auf die Idee, die ohnehin so schwierige Kunst des Spitzentanzes mit artistischen Körperkünsten zu kreuzen? Und der Guangdong Acrobatic Troupe ist dieser Grenzgang 2005 mit ihrem schon weltweit bejubelten „Swan Lake“ ja tatsächlich auch grandios geglückt. Münchens Deutsches Theater im Ausweichdomizil Fröttmaning hat schon um eine Woche verlängert.

Dieser „Swan Lake“ steht in der Tradition perfekter Chinaware. Ist Zirkus, ist Ausstattungsrevue, ist Ballett pur, ist Kunsthandwerk - und doch, nach einem etwas matten Anfang, ein in sich geschlossener Abend. Denn das Kreativ-Team aus Regisseuren und Choreografen hat mit viel Gespür die Artisten-Nummern in die „Schwanensee“-Handlung eingebettet. Ähnlich wie der „Cinderella“-Prinz auf der Suche nach seiner Traumfrau, hat unser weltreisender China-Prinz alle möglichen Erlebnisse. Die Matrosen seines Schiffes sausen wie fliegende Fische von Mast zu Mast (Stangen, die auf den Schultern der Partner-Akrobaten positioniert sind!). Am Nil räkelt sich eine Schlangendame bei ihrer Morgengymnastik. Ein Heer von Haremsschönen übt sich in der Jonglage. Im Tschaikowsky-Takt walzernde Rhönräder fügen sich schließlich zu einer Karosse, die den Prinzen seiner Herzensdame näherbringt.

Dramaturgisch stimmig, blendend getimet und musikalisch geschickt in die Musik gesetzt, reiht sich so Szene an Szene. Es flitzen Akrobaten-Paare auf dem Einrad vorüber und hundert Hüte und Bälle durch die Luft, während die Jonglier-Herren und -Damen, diese sogar auf Spitze, dabei klassische Tanzschritte machen. Ja, auch das Ineinander von Akrobatik und Ballett im Bewegungsvokabular selbst ist gut gelungen. Der klassische Pas de deux für Prinz und Schwanenkönigin mit seinen traditionell komplizierten Griffen und Hebungen (die sind ja schon akrobatisch!) bietet sich für eine artistische Erweiterung geradezu an. Und jetzt das große Staunen: Yu Wanqing, von lyrischer Armführung und gemeißelter Arabeske bis zum abgehoben dramatischen Ausdruck in nichts einer Top-Ballerina nachstehend, schwingt hinauf auf die Schultern ihres Prinzen Chen Dong, residiert dort seelenruhig auf Spitze und hebt dabei das Spielbein auch noch bis ans Ohr. Man will gar nicht wissen, mit wie viel Schweiß, Stürzen und Tränen solche Bravour erarbeitet wird.

Wegen Krankheit hatte der Star des Ensembles Wu Zhengdan in der Premiere nicht getanzt. Immerhin trat Partner und Ehemann Wei Baohua auf und ließ eine andere Ballerina auf seinem Kopf balancieren. Ein nicht zu übertreffender Showeffekt. Aber insgesamt steht die Akrobatik im Dienste der „Schwanensee“-Geschichte, samt bösem Zauberer, hinreißend getanztem Schwarzem Schwan und grazil trippelndem Schwanen-Corps. Und als Variationen zu den berühmten „Vier kleinen Schwänen“ tanzen vier Froschmänner kraftvoll rhythmisch auf den Händen und tüllberockt hüpft immer mal wieder ein Travestie-Quartett durch die Szenerie. Die Tschaikowsky-Konserve donnerte oft überlaut. Man verschmerzt es bei so vielen Augenfreuden.

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